Fürbitten an die Social Media-Wall gepostet

In einem der „95 Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten“ zum Reformationsjubiläum treffen Kirche und digitale Welt beim IT-Dienstleiter „Synaix“ in Aachen zusammen – „Bitte lassen Sie Ihr Handy an“ – Christliche Wertmaßstäbe, um Digitalisierung für den Menschen positiv nutzen

Im Keller, hinter der Hochsicherheitstür, rauschen und brummen die Server in langen Reihen grauer Schränke. In manchen davon blinken Anzeigen, durch andere läuft ein Gewirr bunter Kabel.  Erstaunlich laut ist es hier, und ziemlich eng. Kein geeigneter Ort für einen Gottesdienst mit vielen Besuchern. Der „Dialog-Gottesdienst zum digitalen Wandel“ fand am Dienstagabend dennoch an einem „ungewöhnlichen Ort“ statt: zwar nicht direkt im Serverraum, aber im Obergeschoss, auf der Büroebene des Aachener IT-Dienstleisters Synaix.

Reiseportale, Daten-Clouds und E-Mail-Lösungen

„Wenn Sie eine Reise im Internet suchen, über eins der großen Portale, kann es gut sein, dass Sie in unserem Rechenzentrum vorbeikommen“, sagt Barbara Schilling von Synaix, um zu erklären, wozu die Server im Keller dienen. Auch wer eine E-Mail unter einer Adresse der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) schreibt, also mit der Endung „@ekir.de“ hatte zumindest virtuell schon mal mit dem Serverraum in Aachen-Laurensberg zu tun.

Kanzelreden statt Predigt

Und so klang es zwar für einen Gottesdienst zunächst überraschend, war aber durchaus folgerichtig, wenn Pastor Ralf Peter Reimann in seiner Begrüßung die Anwesenden aufforderte: „Lassen Sie gern Ihr Handy an! Sie dürfen auch während des Gottesdienstes draufschauen und sich über unsere Social Media-Wall aktiv beteiligen.“ Reimann ist nicht nur Theologe, sondern auch Internetbeauftragter der EKiR. Die Idee für einen „Digitalisierungs“-Gottesdienst hatte er gemeinsam mit der Firma Synaix, der Evangelischen Akademie im Rheinland und dem Kirchenkreis Aachen entwickelt. Der Gottesdienst war einer von "95 Gottesdiensten an ungewöhnlichen Orten", zu denen die Evangelische Kirche im Rheinland 2017 anlässlich des Reformationsjubiläums einlädt. Statt einer Predigt hielten Aachener IT-Experten Kanzelreden, in denen sie drei Bibelverse auslegten. Eine Bibel war selbstverständlich auch vorhanden, jedoch nicht als gedrucktes Buch auf dem Altar, sondern als App im ipad.

Gibt es "gute" Digitalisierung?

„Was mich auch persönlich interessiert: Gibt es eine ‚gute‘ Digitalisierung? Wie können wir die Digitalisierung positiv für die Menschheit nutzen?“, sagte Synaix-Geschäftsführer Stefan Fritz zu seiner Motivation, bei diesem Gottesdienst mitzuwirken. In seiner Kanzelrede sprach er über einen Vers aus der Schöpfungsgeschichte: „Macht euch die Erde untertan“ (1. Mose 1,28). Stefan Fritz: "Gottes Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung bedeutet für mich, dass wir auch die digitale Welt gestalten müssen und Verantwortung dafür tragen." Als weitere Kanzelredner wirkten Iris Wilhelmi, Geschäftsführerin des digitalHUB Aachen e.V., und Felix Plitzko, Geschäftsführer der Plattform AISLER, am Gottesdienst mit.

Zeit für analoge Beziehungen auch in der digitalen Welt

Zu der Veranstaltung waren mehr als 70 Gäste persönlich erschienen, rund 80 verfolgten das Geschehen über einen Livestream im Internet mit. Viele von ihnen nahmen mit Kommentaren und Fürbitten auf einer Social Media-Wall teil, die im Gottesdienstraum an der Wand hing. „Gott ist wie eine Melodie für das ganze Leben“, schrieb ein Nutzer da, oder „Digitalisierung erfordert christliche Werte“, ein anderer. Auch die Fürbitten konnten alle Teilnehmenden, ob in Aachen oder anderswo, an die Wand posten: „Gott schenke den Abgehängten eine Überholspur“, zum Beispiel, und: „Fürbitte: Zeit für analoge Beziehungen auch in der digitalen Welt“, oder „Guter Gott, bitte hilf den Trollen, den Extremisten, den Hassenden und lass sie erkennen, wie falsch sie liegen.“

Unterschiedliche Resonanz beim Publikum

Die Resonanz beim Publikum war nach dem Ende des Gottesdienstes durchaus gemischt. „Die Auslegung der Bibelstellen durch die IT-Experten fand ich genial“, sagte der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Aachen, Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff. „Insgesamt halte ich das Konzept für sehr gelungen. Ich finde es gut, wenn es keine Berührungsängste zwischen Kirche und Digitalisierung gibt.“ Die kirchliche Jugendreferentin Dorothea Schui war sich nicht so sicher, was sie von der Benutzung der Smartphones im Gottesdienst halten sollte und meinte: „Mich hat die Social Media-Wall eher abgelenkt. Ich kann nicht gut zuhören, gleichzeitig lesen und selber etwas schreiben.“ Ein 86-jähriger Teilnehmer des Gottesdienstes äußerte sich hingegen begeistert: „Technisch habe ich es zwar noch nicht hinbekommen dabei mitzumachen, aber ich lasse es mir gern mal erklären“, sagte er. „Ich bin überzeugt davon, dass die Kirchen insgesamt sich andere Plattformen zulegen müssen, wenn sie auf breiter Basis im Gespräch bleiben wollen.“