Die "Mutter" der evangelischen Kirchen im Nordkreis wird 175

1847 wurde das heutige Predigthaus in Vorweiden eingeweiht - Aus der Geschichte kann Kraft für die Zukunft erwachsen

 

Der 30. November 1847 war für die Protestanten in Broichweiden ein Festtag: Eine neue Kirche wurde im Ortsteil Vorweiden eingeweiht. Schneller als 1840 erhofft, konnte dabei einem Missstand abgeholfen werden. Eine bauliche Visitation hatte damals ergeben, dass sich die an gleicher Stelle stehende alte Kirche und das angegliederte Pfarrhaus in einem maroden Zustand befanden. Die damals 89 Protestanten im Bezirk Vorweiden innerhalb der damaligen Kirchengemeinde Vorweiden-Lürken hatten aber das Glück des geschichtlichen Moments auf ihrer Seite.

Königlich-preußische Finanzierung

Ab 1815 waren die preußischen Hohenzollern die neuen Herren an der Schnittstelle zwischen dem früheren Herzogtum Jülich und dem Aachener Reich. Selbst reformierte Herrscher in einem mehrheitlich lutherischen Brandenburg-Preußen, unterstützten sie die evangelischen Gläubigen in der rheinischen Diaspora ebenso wie das Miteinander von reformatorischen und lutheranischen Wurzeln. Was in der Altpreußischen Union im Kernland der Hohenzollern vorgelebt wurde, entwickelte sich nun auch zum Maßstab für das Zusammenleben der beiden evangelischen Konfessionen in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Aus "reformatorisch" (wie man in Vorweiden-Lürken seit den Anfängen dieser Gemeinde um 1570 geprägt war) und "lutherisch" (wie viele durch den Bergbau nach Broichweiden gekommene Ostdeutsche waren) wurde "uniert". Und, wie in der Chronik von Pfarrer Bergmann und im Aufsatz von Isolde Schmittmann nachzulesen ist: Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. selbst bewilligte 1846 aus seiner Schatulle 3.300 Taler für den Neubau eines Kirchleins mit angeschlossenem Pfarr- und Schulhaus in Vorweiden.

Knapp 100 Jahre später ist die Kirche zu klein

Sowohl mit der Gründung einer unierten Landeskirche im Rheinland, symbolträchtig schon im 300. Jahr von Luthers Thesenanschlägen (1817) vollzogen, als auch mit der finanziellen Unterstützung für Neubauten evangelischer Kirchen wie jener in Vorweiden schufen die preußischen Herrscher das Fundament für einen erstarkenden Protestantismus im prosperierenden Wurmrevier.

Begonnen hatte alles viel früher. 1578 ist die erste reformierte Predigstätte auf dem Boden des heutigen Broichweiden nachweisbar. In Lürken (ein einst zwischen Alsdorf-Warden und Eschweiler gelegener und später der Braunkohle-Gewinnung zum Opfer gefallener Ort) wurden Gottesdienste auf der Burg der damaligen Herren gehalten. Später, ab 1877, gab es in Warden neben Lürken und Vorweiden ein weiteres Gotteshaus. Es wurde aber wegen Schäden durch Kriegsbomben im Herbst 1944 schon 1951 abgerissen.

Die schmucke kleine Kirche in Vorweiden, die jetzt also ihr 175-Jähriges Bestehen feiert, konnte zunehmend nicht alleine die wachsende Anzahl von Evangelischen bei gleichzeitigem Wegfall der Predigtstätten in Lürken bzw. Warden aufnehmen. Als Ersatz wurde daher die heutige evangelische Kirche am Mariadorfer Dreieck gebaut. Ihr Einweihungsdatum dürfte auch hiesigen Fußball-Fans eine Krücke zum gedanklichen Speichern bilden. Es war der 4. Juli 1954. An diesem Tag strömten viele Evangelischen zuerst mittags in die Mariadorfer Kirche, um gleich danach im nahegelegenen Lokal Drehsen den deutschen Fußballsieg im WM-Finale gegen Ungarn zu bejubeln.

Wechselvolle Gemeindegeschichte

Eine Anmerkung bezüglich der Zeit des Nationalsozialismus soll nicht verschwiegen werden: Bei der Wahl des Presbyteriums im Sommer 1933 gewannen in der Gemeinde die Anhänger des Nationalsozialismus, bekannt als Deutsche Christen (DC), die Mehrheit. Auch in dem anheimelnden reizenden Kirchbau waren nun Worte gegen die Glaubensbrüder Jesu zu hören, deren man sich allerdings bald schämte. 1937 kam es zu einem Gesinnungs-Wechsel in Vorweiden. Nach den ernüchternden Erfahrungen mit der Kirchenpolitik Hitlers und den Exzessen des Regimes bestimmten fortan die Gegner der DC, die Anhänger der Bekennenden Kirche um Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer, den geistigen und theologischen Kurs dort.  

Die Predigtstätte in Vorweiden (denkt man den heutigen Bau und seine Vorgänger-Bauten in eins) ist nach dem Abbaggern des Dorfes Lürken die "Mutter aller evangelischen Kirchen" im Nordkreis Aachen und in den anliegenden Orten des Aldenhovener und Eschweiler Landes. Durch Ausgliederung in den letzten hundert Jahren entstanden dann eigene Kirchengemeinden in Baesweiler, Würselen und Alsdorf. Aus dem verbliebenen Kernbereich der alten Kirchengemeinde Vorweiden-Lürken wurde zunächst die Kirchengemeinde "Hoengen-Broichweiden" (mit den Predigtstätten in Mariadorf und Vorweiden und eigenen Pfarrstellen). Seit 2017 sind die Bezirke Hoengen und Broichweiden Teil der fusionierten Christusgemeinde des Nordkreises.

Nun muss das Dach saniert werden

Nach einer Phase von Wachstum und Ausgliederung, bedingt durch einen ständigen Zuwachs protestantischer Gläubiger und damit finanzieller Einnahmen, steht nun in Nach-Bergbau-Zeiten wieder ein Zusammenrücken und Sparen an. Die jetzige Christusgemeinde nähert sich territorial wieder der früheren Gemeinde Vorweiden-Lürken an. Das muss und sollte nicht Nostalgie befördern, kann aber Mut machen. 175 Jahre (neuere) evangelische Kirche Vorweiden laden ein zu dankbarem Rückblick und ermutigendem Anpacken für die Zukunft. Denn zu tun ist genug, wie wir im Gespräch mit Pfarrerin Dorothea-Elisabeth (Dorlis) Alders hören: ganz aktuell die Sanierung des maroden Daches, immer noch aktuell die Integration von Flüchtlingen in die Gemeinde, sodann die Vertiefung der 2017 angestoßenen Fusion der Christusgemeinde des Nordkreises.

Ein Festgottesdienst am ersten Advent war der Auftakt eines Jubiläumsjahres mit kleinen Konzerten und Ausstellungen in den kommenden Monaten. Neben dem Rückblick auf bewegte Kirchengeschichte wird verstärkt Gegenwart und Zukunft ins Blickfeld genommen. Dabei stehen Fragen wie „Welche Kirche brauchen wir heute?“ im Vordergrund. Und es werden auch Spenden für die aufwändige Dachrenovierung der Kirche gesammelt. 

Text: Joachim Peters