Europa – Quo vadis?

Wohin entwickelt sich Europa? Und was ist der Beitrag der Kirchen? - Belgisch-Deutscher Konvent tagt in der belgischen Abtei Drongen (Gent)

Wohin entwickelt sich Europa? Und was ist der Beitrag der Kirchen? Zu diesem Thema tagte der Belgisch-Deutsche- Konvent in diesem Jahr vom 28. bis 31. August in der belgischen Abtei Drongen (Gent). Den Auftakt bildete ein Bericht aus der Vereinten Protestantischen Kirche in Belgien (VPKB), durch Präsident Steven Fuite, dem Vorsitzenden der Synode der VPKB. Dieser Bericht zeigte, wie unterschiedlich die Situation protestantischen Kirchen in Belgien und in Deutschland ist: Weniger als 1% der belgischen Bevölkerung gehören der VPBK an. Zwei Drittel der Gemeinden sind wallonisch, d.h. französischsprachig, ein Drittel der Gemeinden flämisch und eine Minderheit, drei Gemeinden in Ostbelgien, ist deutschsprachig. Nicht nur die Verständigung aufgrund der drei Sprachen (die deutschen Gemeinden liegen z.B. im wallonischen Kirchendistrikt Lüttich), sondern auch die Selbstbestimmung der Gemeinden und die Finanzierung der Pfarrstellen durch den Staat erschweren gemeinsame und grundlegende strukturelle Entscheidungen wie z.B. Zusammenlegung von Gemeinden und Verwendung von Finanzmitteln. Seit einem Jahr gibt es neben den 85 Pfarrstellen erstmals drei Funktionspfarrstellen, darunter eine für Supervision. Trotz ihrer kleinen Größe bemüht sich die VPKB um eine Präsenz in der Gesellschaft z.B. durch Teilnahme an Beratungskreisen der Föderalregierungen, die nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo entstanden sind zur Förderung eines friedlichen Zusammenlebens. Die VPBK ist Mitglied in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), in der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) und im Weltrat Methodistischer Kirchen und pflegt mehrere Kontakte u.a. zur EKiR. Dass die Kirche ein liberales Profil zeigt (z.B. Zulassung Homosexueller zum Pfarramt), beschert ihr viel Widerspruch, macht aber zugleich auch ihre protestantische Identität aus. Die VPKB bemüht sich darum, so Fuite, eine Kirche zu sein, die zeitgemäß das Evangelium verkündigt.

Besuch in Brüssel

Einen Tag verbrachte der Konvent in Brüssel und besuchte die Chapel for Europe, das Besucherzentrum der Europäischen Kommission und die Vertretung der EKD. Auf die Frage: „Fliegt Europa auseinander?“ antwortete die Pressesprecherin der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) in Brüssel, Franziska Broich, mit einem klaren „Nein“. Sie berichtete aus ihrer Arbeit, die sie jeden Tag mit neuen Themen und Mitarbeitenden in Brüssel konfrontiert, dass sie vielen engagierten Menschen begegne, die zwar nicht immer einer Meinung seien, aber denen Europa am Herzen läge. Sie ist gespannt auf die nächste EU-Kommission und wie christlich diese geprägt sein wird und welche Werte sie für die Europapolitik einbringen wird. Im ständigen Büro der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beobachten überwiegend Juristen das europäische Rechtsetzungsverfahren z.B. zu den Datenschutzrichtlinien oder das Antidiskriminierungsrecht und vertreten die kirchlichen Positionen gegenüber den EU-Institutionen. Die juristische Referentin, Julia Eichler, erläuterte die Arbeitsweise des EKD-Büros. Es erhält Arbeitsaufträge durch die EKD-Synode und setzt sich z.B. für legale Fluchtwege ein. Aus dem benachbarten Büro der KEK war Dr. Peter Pavlovic, Studiensekretär der KEK, zur Gast und nannte als große Themen und Herausforderungen für die KEK das Ergebnis der Europawahlen mit einer Zunahme der populistischen Parteien, so das zwei große Parteien keine Mehrheit mehr bilden könnten, die Klimafrage und den Brexit.

Blick auf Brexit und die Anglikanische Kirche

Mit Blick auf den Brexit kam in Drongen die Stimme der Anglikanischen Kirche zu Wort. Gefragt nach dem Verhältnis der Church of England zu Europa, betonte Professor Jack McDonald, der vorsitzende Geistliche des Zentralausschusses der Anglikanischen Kirche in Belgien, dass die Wurzeln der englischen Reformation in Europa lägen und historisch bis heute eine enge Verbindung zu Europa bestünde. McDonald bedauerte, dass es seitens seiner Kirche keine klare Stellungnahme zum Thema Brexit gebe, zumal zu befürchten sei, dass der Brexit sich besonders nachteilig auf die ärmeren Menschen und die Situation in Irland auswirke. Umso mehr begrüßte er den offenen Brief von 25 Bischöfe der Church of England, in dem diese ihre Sorge um das weitverbreitete Klima des Hasses zum Ausdruck bringen sowie die Ängste verschiedener Menschengruppen vor den Folgen des Brexits thematisieren.

„Es muss immer um den Menschen gehen“

In einer Podiumsdiskussion waren sich der Präsident der Vereinigten Protestantischen Kirche Belgiens, Steven Fuite, der Weihbischof des Erzbistums Mechelen-Brüssel, Jean Kokerols, und Landeskirchenrat Markus Schäfer von der Evangelischen Kirche im Rheinland sehr einig: es müsse immer um den Menschen gehen – um persönliche Begegnungen und Solidarität. Dabei könnten die Kirchen eine wichtige Rolle spielen in dem Bemühen, Menschen zusammen zu bringen und gemeinsam etwas zu tun, so Kokerols und Fuite regte an, das Bild „Viele Glieder, ein Leib“ auf Europa zu übertragen. Es ginge um ergänzende Gaben, integrative Gesellschaften und Solidarität, die auch bedeute, wenn einer leidet, leiden alle mit. Kirche könne eine gastgebende Rolle einnehmen für den kritischen Dialog und zugleich Visionen wachhalten, dass die Welt nicht bleiben muss wie sie ist, so Schäfer.

Kurzer, aber ermutigender Konvent

Viel zu kurz war die 57. Jahrestagung des Belgisch-Deutschen Konventes für das komplexe Thema, doch als Fazit kann festgehalten werden, dass es ermutigend war, so vielen Menschen aus verschiedenen Kontexten zu begegnen, die sich für ein gelingendes und friedliches Miteinander in Europa einsetzen, die den konziliaren Prozess – Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden - im Blick haben und diese Werte für Europa höher achten als ökonomische.

Jährliche Tagung mit evangelischen Christen und Christinnen aus Belgien und Deutschland

Der Belgisch-Deutsche Konvent, bis 2006 hieß er Bruderrat, war nach dem Zweiten Weltkrieg als Versöhnungsinitiative gegründet worden. Heute kommen überwiegend evangelische Christen und Christinnen aus Belgien, West- und Ostdeutschland jährlich zu einer Tagung zusammen zum Austausch über politische, ökonomische, theologische und soziale Gegenwartsfragen und über die Entwicklungen in den evangelischen Kirchen.

(Text und Fotos: Bärbel Büssow, Synodalbeauftragte für nachbarschaftliche Kontakte in den Kirchen in der Euregio)