Religionsunterricht in der Euregio: Entwicklungen - Einblicke - Denkanstöße

Im Dreiländereck lassen sich unterschiedliche Bildungsstrukturen exemplarisch beobachten - Studienfahrt verschiedener Schulreferate nach Aachen - Gespräch mit der Aachener Superintendentin

Im Dreiländereck lassen sich unterschiedliche Bildungsstrukturen exemplarisch beobachten – ein guter Ausgangspunkt für grundlegende Fragen zur Rolle des Religionsunterrichts. Genau diesen Fragen widmeten sich Schulreferentinnen verschiedener Kirchenkreise, die Leiterin des PTI sowie Kirchenräte der Abteilung Bildung und Diakonie der EKiR bei einem Treffen vom Mitte Juni in Aachen. Im Rahmen des Treffens wurden Schulen in der Euregio besucht und die gesammelten Eindrücke durch Beiträge von Hochschuldozierenden reflektiert und eingeordnet.

Wie steht es um den Religionsunterricht?

In der Basisschool ‚De kleine Wereld‘ in Vaals ist der Religionsunterricht zwar kein eigenes Fach mehr, doch die ‚großen Fragen‘ der Kinder finden im wertschätzenden Schulalltag ihren Raum. Die EGS Annaschule in Aachen kooperiert mit der Vaalser Schule im Bereich Fremdsprachenförderung (NL/D). Für Schulleiterin Elisabeth Tillessen ist Schule primär ein Ort der Erziehungsarbeit – auch im Religionsunterricht, an dem Kinder aller Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen teilnehmen. So wird ein Lernen in, mit, durch und von Religion möglich, das Toleranz und interreligiöses Verständnis fördert. In der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens besteht ein Anspruch auf konfessionsgebundenen Religionsunterricht, der aber organisatorisch oft schwer umzusetzen ist. An der inklusiven Grundschule César Franck Athenäum in Kelmis von Schulleiter Michael Vahlefeld findet kath., ev. und muslimischer Religionsunterricht und Ethikunterricht auf dem ‚Philosophenflur‘ statt – offen für Fragen des Miteinanders und interreligiösen Austauschs.

Religionsunterricht ermöglicht Positionalität

Die schulischen Einblicke ergänzte ein Vortrag von Prof. Dr. Erna Zonne-Gätjens von der Fachhochschule für interkulturelle Theologie Hermannsburg. In den öffentlichen Schulen der Niederlande wird kein Religionsunterricht mehr erteilt. Viele Schulen werden jedoch von Stiftungen getragen – häufig aus Elterninitiativen hervorgegangen –, die einer bestimmten Konfession oder Religion verbunden sind. Je nach Ausrichtung dieser Träger findet dort Religionsunterricht statt. Dabei unterscheiden sich die religiösen Profile deutlich, etwa zwischen Schulen im traditionell stark religiös geprägten ‚Bible Belt‘ und solchen im säkulareren Norden oder Süden des Landes.“

Prof. Dr. Guido Meyer von der Autonomen Hochschule Eupen betonte in seinem Vortrag, dass man in Belgien traditionell ungern fremdbestimmt arbeite – eine Haltung, die er mit der Geschichte des Landes erklärt, die bis heute eine gewisse ‚Allergie‘ gegen staatliche Vorgaben hervorrufe. Als Mitbegründer der Hochschule setzt sich Meyer für einen schülerorientierten Religionsunterricht ein, der Offenheit für den Anderen fördert. Gleichzeitig ließ er durchblicken, dass Theologie und Konfessionalität im Laufe der Jahre zunehmend in den Hintergrund geraten seien.

Meyer wies zudem darauf hin, dass Ethikunterricht keineswegs neutral sei, sondern – ähnlich wie der Religionsunterricht – von Interessen und ideologischen Prägungen beeinflusst werde. Der entscheidende Unterschied: Während der Religionsunterricht seine Positionalität offenlege, geschehe dies im Ethikunterricht oft nicht. Diese ideologische Perspektivität des Ethikunterrichts sei in Belgien sogar verfassungsgerichtlich festgestellt worden. Abschließend plädierte Meyer für mehr Mut, neue Wege im Religionsunterricht zu erproben.

Gespräch mit Superintendentin Verena Jantzen

In einem Gespräch mit der Superintendentin des Kirchenkreises Aachen, Pfarrerin Verena Jantzen, wurden sowohl bildungspolitische Entwicklungen in Deutschland als auch Aspekte kirchlicher Bildungsarbeit in der EKiR thematisiert. Darüber hinaus brachte Jantzen Impulse aus dem schottischen Bildungssystem ein, das sie durch mehrere Jahre des Lebens mit ihrer Familie in Schottland aus eigener Erfahrung kennt.

Religionsunterricht an der Grenze

Ein Besuch im Aachener Dom und im Raerener Töpfereimuseum rundeten die Studienfahrt ab und machten die ‚Grenze‘ sowohl erfahrbar als auch sinnbildlich sichtbar. Denn die Töpferwerkstätten in Raeren hielten an alten Traditionen fest – doch gerade dadurch verlor der Ort seine Bedeutung. Diese Erfahrung wirft auch für den Religionsunterricht grundlegende Fragen auf: Was gilt es zu bewahren, was muss sich verändern, um nicht an Relevanz zu verlieren oder ganz aus dem Bildungssystem zu verschwinden? Welche Impulse liefern die Entwicklungen in den Nachbarländern, und welche Wege stehen uns in NRW offen? Während andere Bundesländer bereits neue Pfade beschreiten, bleibt der Auftrag klar: Religiöse Bildung muss kontinuierlich reflektiert, weiterentwickelt und verantwortungsvoll organisiert werden. Es gilt, immer wieder neu zu klären, was religiöse Bildung bedeutet, welche Inhalte sie umfassen soll und wer dafür verantwortlich ist.

Text: Folke Keden-Obrikat

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