"Ostern, das ist eine Hoffnung und ein Geheimnis"

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

zur Osterzeit möchte ich mich in einem persönlichen Wort an Sie wenden, um Ihre Aufmerksamkeit auf die Osterbotschaft im Evangelium zu lenken und Sie einladen, noch einmal aus einem neuen Blickwinkel auf diese Botschaft der Verheißung zu schauen.

Ostern, das ist eine Hoffnung und ein Geheimnis. Ostern, das ist wie eine Tür, die von außen in unser Leben hinein aufgeht.

„Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging.“ (Markus 16, 1)

Der Evangelist Markus erzählt dieses größte Geheimnis, das weder unser philosophisches Ringen noch unser naturwissenschaftliches Erfassen einholen kann, auf eine zutiefst menschliche Weise. Drei Frauen auf dem Weg zum Grab: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Sie geben Ihrer Trauer Ausdruck, ja, Sie treten in Kontakt mit dem, um den sie trauern, indem sie wohlriechende Salben mitführen, um den Leichnam Jesu zu salben, ihm das an Ehrerbietung, an Fürsorge und Liebesdienst zu erweisen, was ihnen möglich und geboten war. Die Frauen geben damit ein zutiefst menschliches, ganz einfaches elementares und zugleich von Ihrer Trauer bestimmtes Zeichen des Widerstandes. Jesus soll nicht so bestattet werden wie er hingerichtet wurde, so lieblos wie ein Verbrecher unter die Erde gescharrt. Nein, sie machen sich auf den Weg, nehmen das Risiko auf sich, erwischt zu werden und als Anhängerinnen dieses Aufrührers enttarnt zu werden. Sie, die Frauen, waren es auch gewesen, die bei der Kreuzigung von Ferne zuschauten.

Und die Jünger? Sitzen hinter verschlossenen Türen und sind bei sich und ihren Fragen und Gedanken. Beschäftigen sich mit sich selbst, haben Jesus bereits aus den Augen verloren. Für sie ist er tot und gestorben. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir in unserer Kirche mehr bei den Jüngern hocken und sorgenvoll unsere Pläne und Programme schmieden als ganz einfach mit den Frauen und ihrer Sehnsucht und ihrer Liebe unterwegs zu sein.

Die drei Frauen halten in ihrer Trauer an dem Toten fest, sie weichen dem nicht aus und sie tun dies aus einem Grund: aus Liebe. In der Liebe weiche ich den Spuren der Vergänglichkeit, des Todes und der Zerstörung nicht aus. 

Mir geht in diesen Wochen ein Gottesdienst nicht aus dem Sinn, den wir in Bonn gefeiert haben, es war ein Gedenk- und Trauergottesdienst für die 367 ertrunkenen Flüchtlinge, die am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa ums Leben gekommen sind. Ihnen und Ihren Angehörigen hat man bis heute den Weg einer ordentlichen Beerdigung, des Abschiednehmens und damit den Ort persönlicher Trauer genommen. Die Särge sind anonym, ohne die Angehörigen und Überlebenden zu informieren, auf verschiedene Friedhöfe verteilt worden in Italien. Zu diesem Gottesdienst kamen Flüchtlinge und Überlebende aus ganz Europa nach Bonn, weil sie hier zum ersten Mal gemeinsam Abschied nehmen konnten.  Im Gottesdienst waren alle Namen der Verstorbenen aufgeschrieben und anschließend berichteten einige von ihrem Schicksal. Das Bewegende in diesem Gottesdienst war in aller Trauer die Kraft, die davon ausging, dass wir gemeinsam gesungen und gebetet, geweint und gehofft, miteinander geschwiegen und getrauert haben. Die Arbeit und unser Einsatz für die Flüchtlinge geht weiter.

Der Evangelist Markus erzählt von der Sorge der Frauen, die zu schwach sind, den Stein vor dem Grab weg zu wälzen. Doch Gott kommt ihrer Sorge zuvor. Das Grab ist offen. Wir können mit unserer Sorge und Planung unser Leben nicht garantieren. Wo wir uns den Kopf einrennen, kann Gott eine Tür öffnen. Das Entscheidende in unserem Leben kommt uns zu, wird uns geschenkt von Gott und von unseren Mitmenschen.  

Die Frauen kommen zwar ins Grab, aber dort finden sie nicht, was sie erwarteten. Sie hören von einem Boten: „Ihr sucht Jesus. Er ist nicht hier.“ Gott ist nicht unbedingt da, wo wir ihn suchen. Das leere Grab zeigt unmissverständlich, Jesus ist nicht bei den Toten.

Ostern ist eine harte Zäsur in unserer Geschichte und unserer Welt und unserem Leben. Ostern ist eben nicht das Fest der erwachenden Lebenskräfte und Säfte im Frühling. Ostern ist der mit Leben gefüllte Widerspruch Gottes gegen unsere Todesordnungen und unsere Hoffnungslosigkeiten. Da wird eine Tür aufgestoßen aus einer anderen Dimension und Wirklichkeit heraus und das verändert unsere Situation. Seit Ostern gibt es keinen Grund mehr aufzugeben und zu kapitulieren, keinen Grund mehr, der eigenen Schwäche auszuweichen, den eigenen Gefühlen, der eigenen Endlichkeit.  Das bedeutet keineswegs, dass wir nun den Durchblick hätten, wohl aber eine Verheißung. Dass die Frauen nicht glauben und nicht verstehen, das hindert nicht den Weg Jesu ins Leben, auf den er sie mitnimmt. Die Frauen bekommen den Auftrag: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“ Dass wir heute den Glauben, die Liebe und die Hoffnung nicht durchhalten im Getriebe unserer Zeit, in den gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, dass hindert auch heute Gott nicht, seine Zeichen der Nähe und Gegenwart zu setzen und uns auf den Weg ins Leben mitzunehmen. Denn Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.

 

Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Osterzeit und darin auch Zeit zu Gott, zum Mitmenschen und zu sich selbst zu kommen.

 

Hans-Peter Bruckhoff
Superintendent