Freiwillig dem Frieden dienen

Ein Jahr lang in einer anderen Kultur heimisch sein - Zwei junge Aachener derzeit mit dem Freiwilligen Friedensdienst in Südamerika - Menschen helfen und Gutes tun

Nach den Osterferien beginnen die Abiturprüfungen. Wenn sie dann ihre Reifeprüfung bestanden haben, packt viele junge Erwachsene erst mal das Fernweh. Sie wollen flügge werden und ziehen vor dem Studium oder der Ausbildung in die weite Welt. Eine gute Möglichkeit, Land und Leute nicht nur aus der touristischen Perspektive kennenzulernen, ist der Freiwillige Friedensdienst der Evangelischen Kirche im Rheinland. Pro Jahr vermittelt die Arbeitsstelle für Auslandsfreiwilligendienste in Solingen knapp 60 Friedensdienstler an Partnerprojekte in England, Frankreich, Rumänien, Russland, USA, Argentinien, Paraguay, Chile, Nicaragua und Israel. Die beiden Aachener Antonia Gier und Matthias Schäber, die vor einem Jahr noch für ihre Abi-Klausuren paukten, zog es im September nach Lateinamerika. Dort helfen sie auf Taschengeldbasis in diakonischen Projekten mit, die von rheinischen Kirchengemeinden unterstützt werden.

Argentinien - das Land der Gelassenheit

Antonia Gier betreut behinderte Menschen in einem Tageszentrum der argentinischen Kleinstadt Córdoba. Die gelassene Lebensart der Argentinier hat Antonia schon schätzen gelernt: „Die Menschen wollen sich so wenig Stress und Druck wie möglich machen“, berichtet sie, „was nächste Woche passiert, daran wird doch heute noch nicht gedacht.“ Der gut organisierte und durchstrukturierte Deutsche, wie sie es selber gerne auch sei, wirke daneben ziemlich belustigend. „Wenn etwas Unerfreuliches passiert oder ganz anders kommt als erwartet, dann ist das für einen Argentinier überhaupt nicht schlimm, es wird sich einfach damit abgefunden.“ Sich nicht ständig über jede Kleinigkeit „total schnell aufzuregen und die Sachen so hinzunehmen wie sie passieren,“ das gefällt Antonia. „Die Spontanität ist doch manchmal viel entspannter als die durchgeplanten Wochen vieler Deutschen,“ schreibt sie in ihrem Rundbrief aus dem achtgrößten Land der Erde, und freut sich auf das zweite Halbjahr ihres Friedensdienstes. „Ich versuche, jeden einzelnen Moment zu genießen und blicke voller Neugier in die Zukunft.“

Der Freiwillige Friedensdienst

Seit 1995 bietet die Arbeitsstelle für Auslandsfreiwilligendienste der Evangelischen Kirche im Rheinland jungen Menschen zwischen 18 und 27 Jahren die Möglichkeit, einen Dienst für Frieden und Versöhnung zu leisten. Wenn ihre Bewerbung erfolgreich war, bereitet die Friedensdienstler ein 14-tägiger Ausreisekurs auf ihren Einsatz vor. Neben der länderspezifischen Vorbereitung erfahren sie Wichtiges über interkulturellen Austausch und Kulturschock. Sie lernen, mit Konflikten und Gewalt umzugehen und werden auf ihre Arbeit eingestimmt. Ein wichtiger Bestandteil ist auch die Klärung der eigenen Ziele, Wünsche und Hoffnungen für das Jahr im Ausland.

Bei ihrer Bewerbung spielen Sprachkenntnisse, Schulabschluss, Berufsausbildung oder Studium keine Rolle, sagt Thomas Franke von der Arbeitsstelle Friedensdienst. Wesentliche Voraussetzung sei das soziale Engagement und weniger die formale Bildung. „Mitbringen sollten sie Teamfähigkeit, Offenheit, Flexibilität und Lernbereitschaft.“ Die Landessprache lernen sie dann vor Ort. Viele der Freiwilligen seien bereits ehrenamtlich aktiv und engagierten sich in der kirchlichen Jugendarbeit, bei der Feuerwehr oder im Sportverein. „Wir laden alle Bewerber zu Auswahltagen ein. Dabei schauen wir, bei welchem Dienst die jungen Menschen ihre Fähigkeiten und Begabungen am besten einsetzen können.“

Vor einem Jahr noch Abiturient - Jetzt ist er "Profe"

So kam Matthias Schäber nach Matagalpa in Nicaragua an eine Grundschule mit 300 Schülern, denen er Sport und Englisch beibringt. „Wenn ich morgens um 7 Uhr mit dem Fahrrad bis zum Eingangstor der Schule komme, ohne aufzufallen, werde ich spätestens dann von den Kindern zur Umarmung umringt und mit „Profe, Profe“ begrüßt“, erzählt er begeistert, „es freut mich jeden Morgen, die fröhlichen Gesichter der Kinder zu sehen.“ Dass in seinem neuen Zuhause die Fensterscheiben fehlen und er seine Kleidung in einem Waschbecken reinigen muss, stört den jungen Mann überhaupt nicht. Beim täglichen Kochen experimentieren er und seine Mitbewohner gern: „Ich finde es sehr spannend, die frischen Früchte und Gemüsesorten zu entdecken und auszuprobieren, die ich vorher noch nie gesehen habe.“

Geheimtipp Nicaragua

Nicaragua hat als ärmstes Land in Mittelamerika wirtschaftlich kaum Bedeutung und ist ein echter Geheimtipp, weiß Matthias: „Es ist ein Land mit hilfsbereiten Menschen, einer interessanten Kultur, einer spannenden Geschichte und einer wunderschönen Natur.“ Was ihn an der Gesellschaft total begeistert, ist die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen: „Überall, ob auf dem Markt oder im Bus wird man angesprochen, woher man kommt. Manchmal habe ich das Gefühl, das Land sei eine große Familie, in der alle willkommen sind.“ Es sei sehr angenehm, dass man hier mit den Leuten so einfach ins Gespräch kommen kann und bislang habe er keine Art von Abneigung gespürt. „Andererseits neigen die Einheimischen nicht zur Pünktlichkeit.“ Um diese Dinge zu sehen und kennenzulernen, müsse man sich Zeit nehmen. „Ich habe das Glück und darf ein ganzes Jahr in diesem Land verbringen.“

Ein Förderkreis finanziert den Freiwilligen Friedensdienst

Die Finanzierung ihres Auslandsjahres sichern die Freiweilligen überwiegend mit ihrem eigenen Freundes- und Förderkreis, der sie mit etwa 150 Euro pro Monat unterstützen sollte. Reisekosten, Versicherungsschutz und Impfkosten für Auslandsaufenthalte außerhalb Europas trägt die Arbeitsstelle FFD. Neben freier Unterkunft und Verpflegung bekommen die Freiwilligen ein dem Lebensstandard angepasstes monatliches Taschengeld, mit dem sie in ihrer Freizeit zum Beispiel kleine Ausflüge machen können. Wer es nicht schafft, genügend Förderer für seinen Friedensdienst zu mobilisieren, der muss aber nicht zuhause bleiben: „Die Gelder der Unterstützer fließen in einen Solidaritätstopf, der alle Freiwilligendienste gleichermaßen finanziert“, stellt Ulrike Sandner von der Arbeitsstelle in Solingen klar.

Zweiter Kulturschock

Wer nach einem Auslandsjahr zurück nach Deutschland kommt, der erlebt oft einen zweiten Kulturschock. Deshalb bietet ein fünftägiges Rückkehrerseminar Raum und Zeit, die Erfahrungen aus dem Jahr mit anderen Freiwilligen zu teilen und für sich selber die Frage zu klären: Was möchte ich mir aus dem Jahr bewahren, was habe ich gelernt, über mich, über Gott und die Welt?

Interessenten für den Freiwilligen Friedensdienst sollten sich zunächst zu einem der Orientierungstage von September bis Dezember anmelden und sich dann schriftlich bewerben. Die nächsten Auswahlgespräche für einen Friedensdienst ab September 2018 finden dann im Januar 2018 statt.

Homepage der Arbeitsstelle Auslandsfreiwilligendienste: www.aktiv-zivil.de