Musik, Zirkus, Gebete und Reparaturen

Die 17. Nacht der offenen Kirchen lockte mit kulturellem, spirituellem und praktischem Programm tausende Besucher in Kirchen und Gemeindezentren - Emmauskirche nach zehn Jahren wieder mit dabei - Bewegender Versöhnungsgottesdienst in der Annakirche

Sehr edel und massiv wirkt die bronzene Tischlampe. Doch sie hat einen Haken: Sie funktioniert nicht mehr. Das wollen Cord Elias und Karl Keitner ändern. Und gehen der Sache Stück für Stück auf den Grund. Bei der 17. Nacht der offenen Kirchen hatte die Emmaus-Kirche im Stadtteil Driescher Hof in diesem Jahr zur "Langen Nacht der Reparaturen" eingeladen. „Wir gehen eigentlich immer zur Nacht der offenen Kirchen, sind aber sonst mehr in der Innenstadt unterwegs“, erzählt die Besitzerin der Tischlampe. Als sie das Programm gelesen habe, habe sie bewusst entscheiden, mal hierhin zu kommen. Erinnerungen hängen an der Lampe, die ihrem Großvater gehört hat. Jetzt würde sie die Lampe gerne an ihre Enkelin weitergeben – „vorausgesetzt, sie funktioniert wieder.“

Seit vier Jahren leitet Cord Elias das Repair-Café, das einmal samstags im Monat in der Emmaus-Kirche seine Türen öffnet. Besucher können dann ihre defekten Hausgeräte vorbeibringen und erhalten nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ Unterstützung bei der Reparatur. „Das wäre auch mal ein gutes Thema für die Nacht der offenen Kirchen“, dachte Cord Elias. Und so bot die Emmaus-Kirche nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder ein eigenes Programm an.

"Upcycling" ist bei Jugendlichen relativ cool

Nachhaltigkeit stand dabei nicht nur in Form von Reparaturen im Mittelpunkt. Auch die übrigen Programmpunkte in der Emmauskirche befassten sich mit diesem Thema. So konnten die Besucher sich von der Verbraucherzentrale zum sparsamen Umgang mit Heizung und Wasser beraten oder aus alten Eierkartons Tischdeko bauen lassen. Was sich aus Müll noch alles machen lässt, hat der Konfi-Kurs ausprobiert. Einkaufszettel aus Teebeutelpapier sind so entstanden oder Papiermäppchen aus Schokoladenpapier. Aus ausrangiertem Geschirr haben die Jungen und Mädchen Vogelhäuser gebastelt. Die Upcycling-Produkte bieten sie an diesem Abend zum Verkauf an. Mit den Erlösen wollen sie ein Hilfsprojekt für Kinder mit Behinderungen in Russland unterstützen. Für die Jugendlichen ist „Upcycling“ ein Thema „Mit ganz viel Pack-An“, erzählt Pfarrerin Monica Schreiber: „Die finden das relativ cool, zu gucken, was man aus Müll machen kann“.

Besucher versuchen sich mit dem "Zirkus Configurani" an Kunststücken

Bewegt war das Programm der Auferstehungskirche im Stadtteil Forst.  Nachmittags war der „Zirkus Configurani“ der evangelischen Viktoriaschule zu Gast und lud die Besucher auch ein, sich einmal selbst an kleinen Kunststücken zu versuchen. „Es war einfach bunt - Jung und Alt, mit oder ohne Behinderungen - es war schön, das zu beobachten“, sagt Pfarrer Martin Obrikat. Den Abend bestritt die Schülerband der Gemeinschaftshauptschule Burtscheid unter der Leitung des Musikers Moses Christoph. Abwechselnd mit Flüchtlingen gestalteten sie den Abend mit Musik und Texten. Im Grunde war die Band auch Anregung für das Programm, erzählte Pfarrer Obrikat. „Wir hatten die musikalische Arbeit an der GHS Burtscheid kennengelernt und fanden das Projekt einfach toll.“ Als Kirche, die etwas außerhalb liegt, ist die Herausforderung in jedem Jahr groß, ein Programm zu finden, was Besucher auch länger verweilen lässt. Auch in diesem Jahr sei das wieder gelungen, findet Obrikat. „Wir sind von Beginn an bei der Nacht der offenen Kirchen dabei und haben die Erfahrung gemacht, dass ein Programm, wo man kommt und geht, hier keinen Sinn macht.“

Stummfilm mit Live-Musik eine Premiere für die Immanuelkirche

Ähnliche Erfahrungen wie Pfarrer Obrikat haben auch die Organisatoren an der Immanuelkirche mit ihrem Programmangebot gemacht. "Bei uns ist es schon Tradition, dass wir zuerst ein musikalisches Programm anbieten und danach einen Film, meist eine Komödie mit Tiefgang", erläuterte Pfarrer Redmer Studemund. An die hundert Gäste fanden sich dazu auch in diesem Jahr wieder in der Kirche an der Siegelallee ein. "Vor allem kommen Menschen aus der Nachbarschaft zu uns, Protestanten wie auch Katholiken", sagte Pfarrer Studemund. "Bei uns ist die Nacht der offenen Kirchen immer ein ökumenisches Event."

Eine kleine Premiere gab es allerdings in diesem Jahr: Erstmalig zeigte die Immanuelkirche vor dem Hauptfilm einen 13 Minuten langen Stummfilm aus dem Jahr 1912 mit musikalischer Begleitung eines Saxophon-Emsembles. Ideengeber dazu war Saxophonist Andreas Herrlich-Volke, der auch oft an der Immanuelkirche im Gottesdienst musiziert und den Stummfilm beim "Dutch Mountain Festival" in Heerlen live vertonte. "Auch die anderen Musikbeiträge der Kirchennacht stammen aus Querverbindungen mit unserer Gemeinde, die hier kreativ andocken", sagte Redmer Studemund. "Wie man sieht, funktioniert das sehr gut!"

JuKi verwandelte sich in einen Ballsaal

Die Junge Kirche verwandelte die Dreifaltigkeitskirche an der Normaluhr für die Nacht der offenen Kirchen an diesem Abend in einen Ballsaal. Unter dem Motto „Schick und tanzbar“ konnten Besucher den ganzen Abend bis zum Schlusssegen das Tanzbein schwingen. „Auch im letzten Jahr hatten wir das Motto schon“, erzählte Pia Schneider von der Jugendkirche. „Damals waren unsere Jugendlichen noch sehr beeindruckt von den Abi-Bällen. Also haben wir das Thema aufgegriffen.“

Denjenigen, die sich bisher so noch nie auf die Tanzfläche gewagt hatten, standen die Tanzlehrer Daniel Napolitano und Natalja Nevskaja zur Seite. Und so trauten sich die Paare an Mambo, Tango und Co. In Schale geworfen hatten sich die Besucher auch fast alle – eben dem Motto entsprechend. „Ich bin positiv überrascht, dass die Jugendlichen da mitgezogen haben“, meinte Pia Schneider. Schön war für sie auch, dass sich sogar ältere Semester unter die jugendlichen Tänzer mischten. „Das lockt nochmal ein ganz anderes Publikum in die Kirche und funktioniert überraschend gut.“

Ein Publikumsmagnet in der Fußgängerzone: die Citykirche

Die ökumenische Citykirche St. Nikolaus war bei der 17. Nacht der offenen Kirchen einmal mehr der ganz große Publikumsmagnet: Das Konzert des beliebten Chores "Carmina Mundi" unter der Leitung von Harald Nicoll begeisterte hunderte Besucher in der bis ganz hinten vollbesetzten Kirche in der Fußgängerzone der Innenstadt. „Christ with me“ lautete der Titel des Konzertprogramms, das den Glauben auf wunderbare Weise in Musik hüllte. In der Citykirche herrschte bis in die späte Nacht hinein reger Publikumsverkehr, selbst bei den späteren Programmpunkten. Auch die keltische Musik des Ensembles Oirfia begeisterte Jung und Alt. Spannend und vor allem ein äußerst eindrucksvolles Hörerlebnis war die von Pfarrerin Sylvia Engels organisierte Uraufführung des musikalisch-literarischen Rilke-Projekts „Das sind die Stunden, da ich mich finde...“ mit Sopranistin Sieglinde Schneider und Pianist Werner Harzheim. Andreas Grude rezitierte zwölf Gedichte nach einer Einführung von Dr. Uwe Beyer.

Vor dem Segen zur Nacht gab es noch Klezmer-Musik der Klezmer-Band „Dance of Joy“ unter dem Motto „Johann Sebastian on the Roof“. Bis in die Nachtstunden lauschten die späten Kirchennachtsbesucher noch dem „Late Night Jazz“ mit Ludger Singer am Piano. Zu Gast in der Citykirche waren diesmal auch die Ordensschwestern aus der Kind-Jesu-Kapelle, die derzeit im Umbau befindlich ist. Sie präsentierten eine Ausstellung zum Leben von Klara Fey, zur aktuellen Baumaßnahme und eine sehenswerte Lichtinstallation.

Live-Musik in der Friedenskirche

Auch in der Friedenskirche an der Ecke Passstraße/Lombardenstraße ging es musikalisch hoch her: Mit einem temperamentvollen Auftritt des Gospelchores „Voices of Praise“ startete der Abend mit abwechslungsreicher Live-Musik. Unter der Leitung von Darnita Rogers und am Klavier begleitet von Kirk Rogers boten die Sänger schwungvoll ihr Gotteslob dar. Das Duo „Görris & Junge“, Marie Rademacher, das Duo „Comiro”, „The Peykay” und „RedNight” traten alle erstmalig in der Friedenskirche auf.

"Ich hätte weinen können vor Freude"

Ein bisher einmaliges Ereignis in Aachen war auch der Ökumenische Versöhnungsgottesdienst, den die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in der Annakirche feierte. Die Beteiligten hatten dafür eigens ein kleineres Modell des dreidimensionalen "Hildesheimer Versöhnungskreuzes" anfertigen lassen, das sich zunächst liegend im Altarraum befand. 

"Das auf der Seite liegende Kreuz wirkt wie ein Teil einer Grenzabsperrung", sagte Pfarrerin Bärbel Büssow in dem Gottesdienst. "Es erinnert an die leidvollen Erfahrungen, die Menschen bis heute an Grenzen machen. Unser ökumenischer Versöhnungsgottesdienst ist gegen den Trend. Wir Christen und Christinnen verschiedener Konfessionen wollen Grenzen überwinden, Mauern einreißen, Hürden abbauen und damit bei uns selbst anfangen." 

Im Gottesdienst bekannten alle Vertreter der verschiedenen Konfessionen und die Besucher gemeinsam ihre Schuld und baten im Gebet um Erbarmen und Vergebung. Nach der Meditation zum Symbol des Kreuzes folgte schließlich die Geste der "Kreuzaufrichtung", welche das Sperrsymbol zu einem Versöhnungssymbol machte. "Die Balken des Kreuzes weisen nun in alle Richtungen und laden uns ein aufzubrechen", sagte Pfarrerin Büssow. "Als Versöhnte, nicht als Konkurrenten. Als auf Christus Getaufte, die eins sind in Jesus Christus."

Wie sehr ihn diese symbolische Geste der Kreuzaufrichtung bewegt habe, sagte der katholische Pfarrer Andreas Mauritz, derzeit Vorsitzender der ACK Aachen, nach dem Gottesdienst. "Ich hätte weinen können vor Freude, so sehr ging mir das unter die Haut", gab er zu.  Schon seit seiner Kindheit ärgere es ihn, dass die Christen in verschiedene Konfessionen zerrissen seien, sagte er. Deshalb sei er nun sehr froh über das sehr gute Miteinander in der ACK und das "wichtige, ermutigende Zeichen", das dieser Gottesdienst gesetzt habe. Dazu gehöre für ihn auch die gemeinsame Selbstverpflichtung aller Mitwirkenden, welche alle zum Ende des Gottesdienstes abgegeben hatten.

Der evangelische Pfarrer Armin Drack zitierte einen Ausspruch von Kardinal Koch und sagte nach dem Gottesdienst, dieser sei "der Auftakt für das Ende der Ökumene und der Beginn der Einheit" gewesen. Die christlichen Kirchen in Aachen verstünden sich nicht mehr als Konkurrenten auf dem religiösen Markt, sondern als Koalitionspartner. Der Versöhnungsgottesdienst sei absichtlich auf einen Termin unmittelbar vor dem Feiertag zum 500. Jahrestag des Beginns der Reformation gelegt worden. "Unsere Grundidee war es", so Pfarrer Drack, "nicht in die Feiern zum Reformationstag gehen zu können, ohne ein wahrhaftiges Erleben von Versöhnung!" Das Metallkreuz werde in weiteren Gottesdiensten und Aktionen in den nächsten Wochen und Monaten in vielen Aachener Gemeinden in Erscheinung treten, zuerst unter anderem in der ökumenischen Citykirche und danach in der Kirche St. Jakob.

Ökumenisches Nachtgebet in St. Jakob

Die katholische Pfarrkirche St. Jakob war in diesem Jahr auch Gastgeberin des traditionellen ökumenischen Nachtgebetes der Bischöfe zur Kirchennacht. Pfarrer Andreas Mauritz zelebrierte den Gottesdienst mit Weihbischof Dr. Johannes Bündgens, der Bischof Dr. Helmut Dieser vertrat, sowie von Seiten des Evangelischen Kirchenkreises Superintendent Hans-Peter Bruckhoff und Elfriede Kosch von der Freikirchlichen Evangelischen Gemeinde Aachen. Zuvor hatten die Besucher in St. Jakob der Taufe als gemeinsamer Grundlage der christlichen Kirchen gedacht. Verschiedene Mitgliedskirchen der ACK hatten dazu Impulse vorbereitet, die den ganzen Abend über in der Kirche zu sehen waren. Am Taufbrunnen in der Jakobskirche gedachten alle Mitwirkenden im Nachtgebet der gegenseitigen Anerkennung der Taufe durch die christlichen Kirchen und machten sich damit ihre grundlegende Verbundenheit bewusst.

Es lag ein Gebetstext zur Ökumene aus und viele Besucher nutzten das Angebot, eine Kerze als Fürbitte zur Ökumene anzuzünden. In den Seitengängen gab es Informationsmaterial zu den verschiedenen christlichen Kirchen. Zusammen mit dem ökumenischen Versöhnungsgottesdienst unter dem Thema „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“ in der Annakirche bildete das Nachtgebet die „ökumenische Klammer“ der 17. Nacht der offenen Kirchen in Aachen.

(Text: Nina Krüsmann, Kathrin Albrecht, Caren Braun)