Großer Ansturm beim Reformationsfest in Baesweiler

Evangelische Gemeinden im Nordkreis luden ein - 600 Menschen kamen zum Festgottesdienst

Mit einem solchen Ansturm im Pädagogischen Zentrum des Baesweiler Gymnasiums hätte niemand gerechnet: An die 600 Menschen waren der Einladung der vier Evangelischen Kirchengemeinden Alsdorf, Baesweiler, Herzogenrath und Würselen zum festlichen Jubiläumsgottesdienst mit Abendmahl gefolgt. Die Verantwortlichen – Pfarrerin Petra Hartmann, Mariadorf, Pfarrer Joachim Wehrenbrecht, Herzogenrath, Pfarrer Jochen Gürtler, Baesweiler, Pfarrer Harry Haller, Würselen und Prädikant Erhard Lay, Merkstein, führten durch den Festgottesdienst. Den musikalischen Part hatten der Posaunenchor Hoengen-Broichweiden unter Leitung von Dr. Hartmut Engelbrecht und der Martin-Luther-Chor aus Merkstein unter Leitung von Heinz Dickmeis übernommen. Markus Lind aus Baesweiler begleitete den Gemeindegesang am Flügel.

"Gnädig sein" war Motto des Jubiläumsfestes

Pfarrer Harry Haller erinnerte an den Auftrag Martin Luthers: „Wir sind auf das weite Feld der Freiheit gestellt worden, damit wir durch engagiertes Zuhören unseren Geist erweitern und uns nicht in den Ansprüchen kirchlicher Ämter verlieren. Und so sind wir aufgefordert, frei zu werden für neue, ungewöhnliche Wege, damit wir frei werden können für unseren Nächsten.“ Das Motto des Gottesdienstes „Gnädig sein“ zog sich in vielen Facetten durch den Jubiläumsakt. „Es ist Gnade, auf einem guten Weg zu sein, das Gefühl zu haben, dass alles gut ist, dass ich sein darf und dass das Leben noch viel für mich offen hält“, sagte Prädikant Erhard Lay. Die Baesweiler Presbyterin Monika Brieger las den Evangeliumstext – die Geschichte vom verlorenen Sohn. Durch die eindrucksvolle Predigt von Pfarrer Jochen Gürtler zog sich wie ein roter Faden der Begriff „Gnädig sein“. Die Geschichte vom verlorenen Sohn übertrug er auf die heutige Zeit: Ein junger Mann in abgewetzter Jeans parkt seinen verbeulten Golf vor dem Haus der Eltern, die er lange Zeit nicht gesehen hat. Der Vater läuft dem Sohn mit Zorn verzerrtem Gesicht entgegen, beschimpft ihn, vermutet, dass der „Taugenichts“ mal wieder Geld braucht und jagt ihn fort.

Gemeinsames Abendmahl war sichtbares Zeichen gelebter Ökumene

Ein typisches Beispiel für Ungnade, sagte Pfarrer Gürtler. „Anders der verlorene Sohn aus der biblischen Geschichte. Der Vater steht hier für den Vater im Himmel. Wie gut für uns, dass Gott gnädig und unser aller Vater ist.“ Gürtler erinnerte an vorreformatorische Zeiten, in denen das Gottesbild ein völlig anderes war. Die Menschen hatten Angst vor der Strafe Gottes. Auch Martin Luther war davon nicht verschont. Erst nach langem Ringen und Nachdenken kam dem Reformator die Erleuchtung: Der Gerechte lebt aus dem Glauben. „Lassen wir uns von der Gnade Gottes anstecken! Seien wir gnädig zueinander“, appellierte Pfarrer Gürtler an die große Gemeinde der Gläubigen. Das gemeinsame Abendmahl, an dem auch viele der anwesenden Katholiken teilnahmen, war ein sichtbares Zeichen für gelebte Ökumene. In diesen Kontext passte auch das Hirtenwort des Aachener Bischofs Helmut Dieser – vorgelesen von Pfarrer Ferdi Bruckes, Leiter der katholischen Gesamtgemeinde Baesweiler. Dieser plädierte für einen kirchlichen Erneuerungsprozess, für ein gemeinsames Miteinander von Katholiken und Protestanten und für ökumenische Gastfreundschaft.

Kirche als Oase in einer Gesellschaft, die Menschen in die Wüste schickt

Dass sich Protestanten 500 Jahre nach der Reformation nicht auf Luthers Lorbeeren ausruhen sollten: Darüber waren sich alle einig. „Kirche ist stets reformbedürftig und muss sich immer wieder neu auf das Wort Gottes hin orientieren“, sagte Prädikant Erhard Lay. „Wir müssen neue Wege finden, Menschen für das Evangelium zu begeistern und ihnen Hilfestellungen geben, das Wort Gottes in ihrem Alltag zu verankern.“ „Kirche muss den Mut haben, auch mal andere Wege zu gehen und Menschen dort aufzusuchen, wo sie sich gern aufhalten. Dies gilt sowohl für die Kinder- und Jugendarbeit als auch für die Arbeitswelt der Erwachsenen und dem Alltag von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen“, meinte Pfarrer Harry Haller. Pfarrer Joachim Wehrenbrecht legte den Kirchen ans Herz, sich mehr denn je als Oasen zu verstehen in einer Gesellschaft, die Menschen oft genug in die Wüste schicke. „Ich wünsche unserer Kirche Mut, dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust entgegen zu steuern. Kirche sollte auf sich aufmerksam machen und signalisieren: Wir sind auch noch da und tragen mit dazu bei, dass unsere Gesellschaft ein Stück menschenfreundlicher wird.“

Kinder schrieben Kunstwerke in alter Schrift

Pfarrerin Petra Hartmann liege, so sagt sie, besonders die Arbeit mit Kindern am Herzen. „Gemeinsam spielen, erzählen, singen und beten: All das schafft ein Fundament, für das sich jeder Einsatz lohnt“, meinte sie. Um die Kinder ging es parallel zum Gottesdienst in einem anderen Raum. Hier durften Mädchen und Jungen – angeleitet von Ulrike Gutmann, Karin Liestmann und Gudrun Becker von der „Kinderkirche Würselen“ – gemeinsam malen, basteln und erzählen. Alles drehte sich dabei um Martin Luther. Besonders fasziniert waren die Kinder, als ihre Betreuerinnen ihnen erzählten und auch vorführten, wie man vor 500 Jahren Tinte herstellte, nämlich aus ausgekochter Granatapfelschale und der Zugabe von Eisenvitriol. Erstaunlich, mit welcher Akribie die Kinder in der Alten Schwabacher Schrift Wörter schrieben – jedes ein kleines Kunstwerk für sich. Im Anschluss an den Gottesdienst gab es einen Empfang mit Getränken und Suppe. Protestanten und Katholiken stießen dabei an auf eine künftig noch intensiver gelebte Ökumene.

Text und Fotos: Margret Nußbaum