Und plötzlich musst du weg

Missio-Truck am Berufskolleg für Gestaltung und Technik informiert über Menschen auf der Flucht

Zahllose Menschen fliehen in diesen Tagen weltweit vor Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, Krieg, Trockenheit, Katastrophen, Perspektivlosigkeit und Hunger. Doch ihr Schicksal ist weit entfernt vom Alltag der meisten Jugendlichen in Deutschland. Was es konkret heißt, aus seiner Heimat fliehen zu müssen, davon konnten sich jetzt rund 380 Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs für Gestaltung und Technik in Aachen ein beeindruckendes Bild machen. Vom 12. bis 16. November stand der Missio-Truck, das 20 Meter lange und 18 Tonnen schwere Infomobil des katholischen Hilfswerks, unübersehbar vor dem Eingang der Schule.

Bewaffnete Gruppen kämpfen im Ost-Kongo um wertvolle Bodenschätze

Eine Klasse des Beruflichen Gymnasiums macht sich auf den Weg. Bevor es richtig losgeht, begrüßt sie Tété Agbodan, pädagogischer Mitarbeiter von Missio, in einem vorbereiteten Unterrichtsraum. Er erklärt das Konzept. An dem konkreten Beispiel von Bürgerkriegsflüchtlingen in der Demokratischen Republik Kongo sollen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Menschen auf der Flucht” für die Ausnahmesituation Flucht sensibilisiert werden. Die Jugendlichen erfahren etwas über die bewaffneten Konflikte im Osten des Kongo, bei denen eine Vielzahl bewaffneter Gruppen um die Kontrolle über wertvolle Bodenschätze, vor allem aber um den seltenen Rohstoff Coltan kämpfen. Diese Auseinandersetzungen haben in der Region bislang kein Ende gefunden und führen seit Jahren dazu, dass Hunderttausende Menschen fliehen müssen und Tausende von ihnen getötet werden. Coltan ist ein wichtiger Bestandteil von Handys, Kameras und Laptops - und er steckt auch in den elektronischen Geräten der Jugendlichen. Nicole, Schülerin des Beruflichen Gymnasiums, dazu: „Das bringt mich zum Nachdenken, insbesondere da wir hier in Europa eine Mitschuld tragen. Wir haben einen hohen Bedarf an Coltan, das wir in unseren Handys haben. Alle zwei Jahre ersetzen wir sie und werfen sie dann in die Schublade.“

Plötzliche Flucht in Spiel- und Hör-Stationen selbst erleben

Nach der kurzen Einführung geht es nun vor der Schule am Missio-Truck weiter, wo Franziska – ebenfalls Mitarbeiterin von Missio – die Jugendlichen mit der multimedialen Ausstellung vertraut macht. Die Führung beginnt mit einem Computerspiel, in dem die Jugendlichen die Geschichte eines Flüchtlings an Spiel- und Hörstationen nacherleben.

Dazu haben je zwei Schüler*innen eine Personenkarte mit einem QR-Code bekommen, mit deren Hilfe sie in die Identität eines Vertriebenen schlüpfen, z.B. in die von „Fallon“, einem 18-jährigen Mädchen aus dem Kongo, das auf dem Markt arbeitet. Und dort geht es auch los. Der erste von acht Ausstellungsräumen, die auf der geschlossenen Ladefläche des Lasters installiert sind, ist ein angedeuteter afrikanischer Marktplatz. Und dann ist man schon mittendrin. „Pack dein Leben zusammen“, lautet die nächste Station eine Tür weiter. Man steht in einem Kirchenraum und plötzlich fallen Schüsse. Und alles geht ganz schnell. Auf Bildschirmen an den Wänden sieht man – wie durch Fenster hindurch nach draußen – auf vorfahrende Pickups mit bewaffneten Milizionären. Häuser brennen. Auf einem weiteren Monitor vorne im Raum erklärt ein Mann die dramatische Situation und dass man jetzt keine Zeit mehr zu verlieren habe. „Man musste dann entscheiden, was man auf der Flucht mitnehmen sollte“, berichtet hinterher Paula, Schülerin der Gymnasialklasse, „wir entschieden uns für Schuhe, Wasser und Klamotten. Klar wären Zeugnisse und ein Personalausweis sinnvoller gewesen, jedoch gab es nur sehr wenig Zeit, sich zu entscheiden.“

Sachliche Aufklärung zu Vorurteilen und Befürchtungen

„Auf der Flucht“ ist man im nächsten Raum, man sitzt gewissermaßen auf der Ladefläche eines Transporters. In einem Animationsfilm gibt der Fahrer Tipps für die weitere Flucht. Es folgen weitere Stationen, die zeigen, wie es weitergeht und welche Probleme auftauchen. Es gibt Hinweise auf Hilfsangebote für die Binnenflüchtlinge vor Ort – wie die von Missio eingerichteten Traumazentren. Fluchtwege und die Ankunft in Deutschland werden thematisiert und schließlich – ein weiteres Mal – Nachdenken: Interaktive Bildschirme liefern sachliche Aufklärung zu den stereotypen Vorurteilen und Befürchtungen, die auch viele bei uns in Deutschland Flüchtlingen entgegenbringen. Die Angst etwa, dass ‚uns die Flüchtlinge die Arbeitsplätze wegnehmen‘, wird mit dem Hinweis auf rechtliche Regelungen und faktische Notwendigkeiten kurz und überzeugend beantwortet: „Asylbewerber dürfen frühestens nach drei Monaten arbeiten“, heißt es da, „aber nur wenn kein Deutscher, kein EU-Ausländer und kein anerkannter Flüchtling für den Job infrage kommt. Außerdem fehlen in vielen Bereichen heute schon die nötigen Arbeitskräfte, weshalb Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsinstitute die Zuwanderung begrüßen“. An dieser Station zum Schluss bleiben einige noch für ein Weilchen stehen.

Unser Konsumverhalten beeinflusst das Schicksal von Menschen in Afrika

Am Ausgang stehen die Jugendlichen zusammen an den Stehtischen. Diskussion. Nachdenklichkeit. – Nicoles Meinung: „Man wurde selbst zum Flüchtling. Der Besucher bekommt hautnah verschiedene Schicksale zu Gesicht, was einem natürlich sehr nahe kommt, da es nicht, wie in den Medien, eine anonyme Gruppe von Menschen ist. Es sind echte Personen.“ - Paula beschreibt es so: „Insgesamt hat mir dieser kleine Eindruck sehr gut gefallen, da man wirklich ein Gefühl dafür bekommen hat, was eine Flucht aus dem Heimatland so alles für Auswirkungen auf das gesamte Leben hat. Mir ist klar geworden, dass eine klitzekleine Entscheidung einen enormen Einfluss auf die Zukunft hat. Ob man sich im ersten Moment für ein Messer oder Wasser entscheidet, erweist sich dann später als richtige oder falsche Entscheidung.“ Und: „Eine solche Exkursion hinterlässt bei mir auch Gewissensbisse. Wegen unserem Konsumverhalten und unserer Handysucht gehen in Afrika Menschen drauf. Es macht mich sehr wütend, wie selbstverständlich die Menschen hier die Produkte sehen, an denen Blut klebt.“ – Und Luka: „Ich werde jetzt bei dem Kauf eines neuen Handys auf die Herkunft und Produktion achten und auf Alternativen zurückgreifen.“

Alte Handys recyclen und Fairphones nutzen

Ein weiteres Treffen folgt nochmal mit dem Missio-Pädagogen Tété Agbodan, der Fragen beantwortet und Lösungsansätze nennt, die auch die Besucherinnen und Besucher des Missio-Trucks ansprechen. Er weist zum Beispiel auf die Spendenboxen für alte Handys hin, die es ermöglichen, die darin enthaltenen wertvollen Rohstoffe zu recyceln. Auch gibt es die Möglichkeit, sogenannte Fairphones zu nutzen. Das sind Handys, die unter möglichst fairen Bedingungen hergestellt werden. Bei ihnen ist sichergestellt, dass einige der darin verbauten Metalle oder deren Rohstoffe aus Minen bezogen werden, die nicht in die Finanzierung von Bürgerkriegen verwickelt sind.

Der Missio-Truck ist im Rahmen der Aktion Schutzengel „Für Familien in Not. Weltweit.“ unterwegs. Diese Aktion hilft Menschen, neue Hoffnung für ihre Zukunft nach der Flucht zu finden.

Nadines Resümee: „Ein gelungenes Projekt, um Aufmerksamkeit zu erregen.“

(Text: Jörg Schönemann)