Kirchen in der Euregio berieten über Umgang mit "Angst und Aggression"

Euregionale Ökumenische Konferenz tagte im Haus der Evangelischen Kirche in Aachen - Polizisten, Seelsorger und Pflegende oft Ziel von Übergriffen

Übergriffe auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute sowie Polizistinnen und Polizisten werden medial breit diskutiert. Doch nicht nur diese Personengruppen sind Aggressionen ausgesetzt, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Notfallseelsorge, Pflege, Schule und Kirche. Woher die Aggression von Menschen gegen diese Berufsgruppen kommt, die doch vor allem Hilfen und Schutz anbieten, und wie die  Betroffenen mit der Angst davor umgehen können, war ein Thema der diesjährigen Euregionalen Ökumenischen Konferenz. Etwa 70 Teilnehmende aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden diskutierten dabei auch, welchen Beitrag die Kirchen in der Euregio leisten können, um Angst und Aggression entgegenzuwirken.

Jährliche Konferenz ist "ein Stück gelebtes Europa"

"Wie aktuell das Thema 'Angst und Aggression' ist, hat der Anschlag in Utrecht vor wenigen Tagen wieder gezeigt", sagte Pfarrerin Bärbel Büssow, die die Tagungsteilnehmer im Großen Saal des Hauses der Evangelischen Kirche in Aachen begrüßte.

Zu Beginn der Tagung hatte Pfarrerin Büssow gemeinsam mit Elly de Haan-Verduyn in der Annakirche eine deutsch-niederländische Andacht gestaltet. Die Inhalte der Tagung wurden dann in zwei Impulsreferaten sowie sechs verschiedene Arbeitsgruppen behandelt. An der Tagung nahmen neben Pfarrerinnen und Pfarrern auch Mitarbeitende der Notfallseelsorge, Pastoralreferenten, Mitarbeitende von Caritas und Diakonie sowie engagierte Gemeindeglieder teil. Moderiert wurde der Tag von Mark Brülls vom Caritasverband für das Bistum Aachen. "Die Euregionale Ökumenische Konferenz ist für mich wirklich ein Stück gelebtes Europa", sagte Brülls. "Deshalb nehme ich jedes Jahr daran teil."

Psychisch Kranke weniger gewalttätig als oft vermutet

Zu Beginn der Tagung führte Alexander Cremer, Pflege-Experte der LVR-Klinik Mönchengladbach, mit einem Referat zu "Aggression und Gewalt im psychiatrischen Kontext" in die Thematik ein. Im Gesundheitswesen würden sowohl Pflegebedürftige als auch Pflegende Opfer von Aggression und Gewalt, sagte Cremer. Tatsächlich herrsche in der Bevölkerung allerdings oft ein verzerrtes Bild von der Situation in psychiatrischen Kliniken. Dort komme es heute viel weniger zu Gewalt als früher und als durch die Medien suggeriert. Außerdem sei das Gewaltrisiko, das von psychisch Kranken ausgeht, insgesamt nur leicht erhöht und läge etwa ähnlich hoch wie das von jungen Männern. Die Zuhörer warnte Alexander Cremer allerdings: "Wenn Sie von jemandem wissen, dass er oder sie schon einmal übergriffig, aggressiv oder gewalttätig wurde, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder passiert." Wer also in der Pflege, in der Seelsorge oder der Beratung mit einer solchen Person zu tun habe, solle dies im Hinterkopf haben.

"Nachbarn drohten, Kinder mit der Heckenschere umzubringen"

In Arbeitsgruppen beschäftigten sich die Tagungsteilnehmer unter anderem mit Migrationsarbeit, mit Polizeiseelsorge, mit "Aggression unter den Bedingungen des Hyperindividualismus" und mit "Arbeit mit Tätern". In der Arbeitsgruppe "Migrationsarbeit" berichtete Lian Overbeeke, Pastoralreferentin in Roerdalen, von ihrer Arbeit mit einer Flüchtlingsfamilie aus Eritrea. Diese sei von den Nachbarn drangsaliert und massiv bedroht worden. "Einmal standen die Nachbarn sogar mit einer Heckenschere vor der Tür und drohten, die Kinder der Familie umzubringen", erzählte Overbeeke den entsetzten Zuhörern. Schließlich sei aber eine Umsiedlung der Familie in eine andere Wohngegend gelungen, in der sie in Frieden leben könne und gut integriert sei.

Pfarrer Charles Cervigne von der Evangelischen Kirchengemeinde Aldenhoven schilderte der Arbeitsgruppe seine Erfahrungen mit dem Kirchenasyl, das seine Gemeinde vielen Flüchtlingen gewährt. Er selbst wurde deshalb an seiner Haustür brutal überfallen und verletzt. Weil die Gemeinde Kirchenasyl gewährt, wurde er auch schon angezeigt. "Die Zahl der Kirchensasyle in Deutschland hat sich sehr verringert, weil viele Gemeinden Angst vor der Verantwortung und vor der Kriminalisierung haben", sagt Cervigne. Gewalterfahrungen hätten fast alle Flüchtlinge, die zu ihm kommen, hinter sich, erzählt der Pfarrer. "Das würde bei uns einheimischen Deutschen in jedem Fall reichen, um zum Psychologen zu gehen, nur bei den Flüchtlingen geht es nicht, weil sie keine Krankenversicherung haben. Nur in Extremfällen können wir sie zur Behandlung bringen." Gefragt danach, wie die Nachbarn auf das Kirchenasyl an seiner Kirche reagieren, erzählte Pfarrer Cervigne, dass die meisten vom Bergbau geprägt seien. Unter Tage spielte es keine Rolle, woher jemand kam, da war Zusammenarbeit wichtig. Und auch die Gemeindeglieder, darunter viele, die selbst Hilfe benötigen, helfen, weil es ihnen um Menschenwürde geht: selbst als Mensch behandelt werden und andere als Menschen behandeln. Das sei das Wichtigste, so Cervigne.

Professor Theo W.A. de Wit nahm in seinem Vortrag auch die politische Dimension von Angst und Aggression in den Blick und wies darauf hin, dass der Westen sich noch immer als eine Art Avangarde betrachte, was zu aggressiven Reaktionen derer führe, die als minderwertig angesehen werden. Für de Wit ist der Begriff “Koexistenz” ein Schlüsselwort für die Zukunft, denn es bedeute, dass alle Völker, Religionen und Kulturen sich von je ihrer eigenen Geschichte und Tradition her weiter entwickeln und einander auf Augenhöhe begegnen können.

(Text: C. Braun)