Das Alte muss raus!

Am Karneval scheiden sich die Geister. Den einen kann es gar nicht verrückt genug zugehen, andere stehen nur entgeistert dabei oder ergreifen die Flucht vor dem Narrentrubel. Und wieder andere finden's im Prinzip ganz lustig, aber ärgern sich über das manchmal verkrampft wirkende Gehabe der Karnevalsvereine.

Die Karnevalsbegeisterung ist in Deutschland übrigens auch regional unterschiedlich ausgeprägt: sie blüht vor allem in den katholisch geprägten Gebieten am Rhein und in Süddeutschland, während sie im evangelisch geprägten Nord- und Ostdeutschland nur wenig verwurzelt ist – eine Wirkung der lutherischen Reformation übrigens, die den karnevalistischen Mummenschanz ablehnte.

Mit viel Lärm werden die Winterdämonen vertrieben

Aber worum geht es eigentlich beim Karneval? Gerade der Blick auf süddeutsche Bräuche wie die „alemannische Fastnacht“ macht die schon vorchristlichen Wurzeln deutlich: es geht darum, den Winter auszutreiben, das Dunkle und Unheimliche der langen Nächte: mit viel Lärm, aber auch mit Masken, die die „Winterdämonen“ abbilden und entmachten sollen. Spätestens seit dem Mittelalter werden aber von den Narren auch die politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse karikiert oder sogar auf den Kopf gestellt – wie etwa bei der Machtübernahme der Frauen in den Rathäusern zur „Weiberfastnacht“. Da steckt auch viel anarchische und visionäre Hellsichtigkeit hinter dieser Verrücktheit: wer sagt eigentlich, dass es in unserem scheinbar so normalen Alltag nicht häufig noch viel verrückter zugeht als beim Karneval?

Der Winter, das Dunkel, das Alte, das Erstarrte: das muss ausgetrieben werden, wenn neues Leben wachsen soll – in diesem Ziel treffen sich übrigens der Karneval und die kirchliche Fastenzeit, die den Karneval am Aschermittwoch beendet. 40 Tage ohne Fleisch (daher die Bezeichnung „Karneval“, Lateinisch „Fleisch leb` wohl“), aber auch ohne Alkohol, ohne Süßigkeiten – in früheren Jahrhunderten war das für viele eine schlichte Notwendigkeit, da im Frühjahr die Wintervorräte zu Ende gingen und frische Lebensmittel kaum zur Verfügung standen.

Jesus widersteht durch sein Fasten allen Allmachtsversuchungen

Seit einigen Jahren wird interessanterweise das Fasten wiederentdeckt: etwa in der evangelischen Aktion „Sieben Wochen ohne“ oder als medizinisches „Heilfasten“. Ein solches (freiwilliges!) Fasten kann bewusstmachen, wo sich - manchmal unbewusste - Abhängigkeiten und Süchte in unseren Alltag eingeschlichen haben - aber auch, dass wir diesen Abhängigkeiten nicht hilflos ausgeliefert sind (wobei es beim Fasten längst nicht mehr nur um Nahrung und Genussmittel, sondern auch um Fernsehkonsum, Computer, Autofahren und ähnliches geht).

Die biblische Schlüsselgeschichte der Fastenzeit berichtet, wie Jesus sich durch ein 40-tägiges Fasten in der Wüste auf sein öffentliches Auftreten vorbereitet, und wie er dabei allen Allmachtsversuchungen widersteht (Matthäusevangelium, Kapitel 4).

Ist es auch für uns möglich, den Ballast des Alten, Erstarrten abzulegen, aus den alten Kleidern herauszuschlüpfen? Die Erfahrungen von Karneval und Fasten sagen: in Grenzen - Ja! Einen Versuch jedenfalls wäre es wert.

(Text: Ulrich Holste-Helmer)