Liebe Leserinnen und Leser,
am 15.08.1993 durfte ich meinen ersten Arbeitstag in der Flüchtlingsberatung Herzogenrath beginnen. Kaum zu glauben, dass es die Beratungsstelle so lange schon gibt und wie sie sich in diesen Jahren aus einer Projektförderung über den Kirchenkreis Aachen, aus einem Sonderfonds der Synode heraus, zu einer etablierten, anerkannten Institution entwickelt hat.
Unter fach- und sachkundiger Anleitung der damaligen Pfarrerin z.A. Frau Donath-Kreß konnte ich die konkrete Arbeit beginnen, in enger Abstimmung mit dem Ökumenischen Arbeitskreis gegen Fremdenfeindlichkeit und mit der Stadt Herzogenrath. Aufgrund fehlender räumlicher Ressourcen wurde Beratung zunächst als aufsuchendes Angebot in den diversen Flüchtlingsunterkünften in Kohlscheid, Herzogenrath und Merkstein durchgeführt. Zum damaligen Zeitpunkt lebten rund 1.000 Asylbewerber:innen (vor allem aus Sri Lanka, Afghanistan, Nigeria, Dem. Rep. Kongo, …) in Sammelunterkünften unter schwierigen Bedingungen.
Neben rechtlichen Fragestellungen standen viele psychosoziale Fragen im Fokus; es galt sprachliche Barrieren zu überwinden, Sprachkurse anzubieten und zu vermitteln; aber auch Einbindung und Anbindung an soziale Infrastruktur zu gestalten. Über 14 Jahre habe ich diese Aufgabe durchgeführt: alles in allem eine eindrucksvolle, prägende, bewegende und bewegte Zeit mit vielen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen. Eine Herausforderung besonderer Art war das Wanderkirchenasyl 1998: 20 kurdische Flüchtlinge waren für 12 Tage im heutigen Lukasgemeindezentrum untergebracht. Eine Erfahrung, die das Zusammenwirken von Polizei, Ausländerbehörde, Ministerien extrem gefordert, aber auch alle Beteiligten enorm zusammengeschweißt und das ökumenische Miteinander befördert hat.
Der Kirchengemeinde Herzogenrath, der Stadt Herzogenrath, den hauptamtlichen Mitarbeitenden, aber auch den vielen Ehrenamtlichen gratuliere ich herzlich zum nun 30-jährigen Bestehen, das am Pfingstsonntag gefeiert wird, und wünsche allen Beteiligten weiterhin die "Poesie des Tuns" im Sinne von Heinrich Böll:
Poesie des Tuns
Es ist schön, ein hungerndes Kind zu sättigen,
ihm die Tränen zu trocknen,
ihm die Nase zu putzen;
es ist schön, einen Kranken zu heilen.
Ein Bereich der Ästhetik,
den wir noch nicht entdeckt haben,
ist die Schönheit der Gerechtigkeit.
Über die Schönheit der Künste, eines Menschen,
der Natur
können wir uns halbwegs einigen.
Aber RECHT und GERECHTIGKEIT sind auch schön,
und sie haben ihre Poesie,
wenn sie vollzogen werden.
Heike Keßler-Wiertz