Eine Nacht, die bewegt

Großer Besucherandrang zur Nacht der offenen Kirchen - Musik, Theater und Appell für Flüchtlinge aus Afrika

"Bei uns war es rappelvoll", sagt Pfarrer Martin Obrikat. "Wahnsinn, es sind noch mehr Leute hier als letztes Jahr, obwohl es da schon so viele waren", freut sich Pfarrerin Sylvia Engels in der Citykirche, und Pfarrerin Bärbel Büssow ist als Neu-Aachenerin erstaunt: "Ich bin total beeindruckt, weil ich nicht gedacht hätte, dass so viele bei diesem Wetter nachts hier unterwegs sind. Die Kirche ist so voll, dass die Besucher sogar bis in den Vorraum stehen müssen." Trotz Regens, Kälte und Fußballspiel der Nationalmannschaft lockte die dreizehnte Aachener Nacht der offenen Kirchen am vergangenen Freitag wieder tausende Interessierte in die 29 teilnehmenden Gotteshäuser.

Sich für Flüchtlinge aus Afrika einsetzen

Das ökumenische Nachtgebet, der zentrale Gottesdienst der Kirchennacht, fand in diesem Jahr im Dom statt. Die Predigt hielt Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Aachen. Darin sprach er über die Flüchtlinge aus Afrika, die an den Außengrenzen der Europäischen Union stranden, die vielfach und schon seit Jahren im Mittelmeer bei Schiffsunglücken umkommen oder die von den Behörden der nordafrikanischen Länder zum Sterben in der Wüste ausgesetzt werden, darunter sogar schwangere Frauen und Kinder. "Diese jungen Menschen suchen Europa nicht, um sich hier auszuruhen, sondern sie suchen einen Ausweg aus Hunger, Arbeitslosigkeit und Tod", sagte Bruckhoff. Er rief dazu auf, dass Christen und christliche Kirchen bei den großen Fragen unserer Zeit nicht wegschauen dürften, sondern sich für diese Menschen einsetzen müssen.

"Junges Gemüse" bei der "Jungen Kirche Aachen"

Gesellschafts- und konsumkritisch gestaltete auch die "Junge Kirche Aachen" ihre erstmalige Teilnahme an der Kirchennacht: "Kann man Aspartam bedenkenlos essen? Wie geht eigentlich Margarine ohne Fett?" Mit diesen und ähnlichen Fragen begab sich das "Junge Gemüse" der Theatergruppe "Schlagschatten" des Einhard-Gymnasiums direkt in Teufels Küche. Die war schnell geortet in den Laboren unserer Nahrungsmittelindustrie. Das Ergebnis der Inspektion in der witzigen und spitzzüngigen Schatten-Performance "Is(s) was?" war bei allem Lachen erschütternd. Mit dem anhaltenden Applaus von über 150 begeisterten Zuschauern in der Dreifaltigkeitskirche sprang das "Junge Gemüse" dem Teufel schließlich aber noch von der Schippe. In der stimmungsvoll erleuchteten Kirche boten die Mitarbeiter von Junger Kirche und die Urbanen Gemeinschaftsgärten Aachen schließlich eine schmackhafte Verköstigung jenseits von Fastfood und Geschmacksverstärkern an. Ein junger "Containerer", der sich nur von Weggeworfenem ernährt, öffnete dabei mit seinem Bericht die Augen für die Verschwendung unserer Vermarktungsketten. Zu fortgeschrittener Stunde griff der Film "Essen im Eimer" diesen Aspekt auf und brachte etwa 40 Zuschauer noch sehr ins Nachdenken. David Wiesner, neuer Mitarbeiter von Junge Kirche Aachen, ließ die Gäste nicht allein mit diesen Gedanken nach Hause gehen. Der Segen und die dazu verteilte Fair-Trade-Schokolade machten die Zuversicht Gottes bei all den menschlichen Verirrungen deutlich und hinterließen einen guten Geschmack bei den heimkehrenden Besuchern.

Perspektivwechsel für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Die Auferstehungskirche gestaltete in diesem Jahr ihr Programm unter dem Motto "Perspektivwechsel" und arbeitete dabei wieder mit der Lebenshilfe Aachen e.V. zusammen. Zunächst wirkten mehr als 100 Kinder vom Kindergarten- bis zum Teenageralter an einem Musik-Theaterstück mit, das mit Bewegung, Tanz und Gebärdensprache das Thema Inklusion umsetze. Mit dabei waren die Kinder der städtischen Musikschule, der Kindertagesstätten "Am Kupferofen" und "Mirabilis" sowie der Kultur- und Sportinitiative "Tabalingo". Die Kinder mit und ohne Behinderung spielten dabei gemeinsam die Geschichte von "Swimmy" dem Fisch nach und zeigten so: "Gemeinsam sind wir stark."

Anschließend zeigten die Jugendlichen des Integrativen Schwarzlichttheaters von Tabalingo mit Tanz und Performance vier Episoden, darunter "Gefangenschaft" und "Der rote Faden des Lebens". Im komplett abgedunkelten Kirchraum sahen die Besucher nur die von Schwarzlicht beleuchtete weiße oder teils bunt scheinende Kleidung der jungen Künstler. Rund 20 Minuten dauerte die Vorführung, für die die Jugendlichen von Tabalingo viel Applaus und Lob von den Zuschauern bekamen. "Die Aufführung war richtig beeindruckend und sehr gut umgesetzt", freute sich auch Pfarrer Martin Obrikat über den gelungenen Auftritt. "Das Schwarzlichttheater eignet sich toll, um die Idee 'Verschieden und gleich' der Inklusion umzusetzen, da man dabei nur die Masken und leuchtenden Gegenstände sieht und alle Mitwirkenden gleichberechtigt auftreten können."

Auch die Tanzkompagnie "Tétage" unter der Leitung von Ute Malmer zeigte danach Teile ihres aktuellen Programms "Blickwinkel - Episode 2", das sich in unglaublich dichter Atmosphäre mit der Thematik des "Perspektivwechsels" auseinandersetzte. Unterstützt von auf die Wand der Auferstehungskirche projizierten Bildern und Texten, zeigten die sieben Frauen künstlerisch, wie persönliche Blickwinkel sich unterscheiden können. Nach den Vorführungen lud Pfarrer Obrikat zu Suppe und Wein ein, "um ins Gespräch zu kommen und sich selbst und andere vielleicht ein bisschen besser kennen zu lernen".

Klassische, neue Musik und "Crossover" in der Innenstadt

Zwischen ganz verschiedenen musikalischen Programmpunkten konnten die Kirchenbesucher zur Nacht der offenen Kirchen auch in der evangelischen Annakirche und in der Ökumenischen Citykirche St. Nikolaus wählen. Nach einem kabarettistischen Programm und einem Diskussionsabend zu den Grenzen von Fortschritt und Technik in den Vorjahren hatte Pfarrer Armin Drack dieses Mal Kammermusik und Gospels sowie geistliche Lieder unserer Zeit als Schwerpunkte gewählt. In der Citykirche hörten jeweils mehr als 600 Besucher das Chorkonzert von "Carmina Mundi", das Crossover-Konzert "Klezmer meets Bach" und das achtköpfige Vokalensemble "ACHTung Vokal". Die Moderation übernahmen immer abwechselnd die evangelische Pfarrerin Sylvia Engels und ihr katholischer Kollege Dieter Spoo.

"Troubadoure der neuen Zeit" in der Immanuelkirche

Ruhige Töne konnten die Besucher des Abendkonzertes in der Immanuelkirche genießen. Carlos Justiniano aus Chile und Swantje Schmid, die sich selber als „Troubadoure der neuen Zeit“ bezeichnen, spielten Gitarre und sangen auf Spanisch und Deutsch. Es kamen aber auch ausgefallene Instrumente zum Einsatz, wie etwa der Hang, der in seiner Form stark an einen asiatischen Wok erinnert. Die Künstler bezeichneten ihre Musik als „Fenster zu den Träumen der Menschen“. Mit ihren ruhigen und melodischen Liedern begeisterten sie die Zuhörer in der Immanuelkirche und ernteten am Ende viel Applaus.

Bands und DJs in der Friedenskirche

In der Friedenskirche hingegen gab es in diesem Jahr zum ersten Mal eine Mischung aus zwei Live-Bands und einer DJ-Performance der besonderen Art. Zum Auftakt rockte "Tuesday Fortnight", die laut Frontmann Mario Wagner "älteste Schülerband der Mu´Fab Aachen", quer durch die Musikgeschichte. Dabei wurde so mancher schon lange nicht mehr gehörter Klassiker neu zum Glänzen gebracht. "Schön ist es so tolle Nachbarn zu haben", findet Pfarrer Olaf Popien, denn Schlagzeugerin und Backgroundsängerin Elisabeth Wagner und Saxofonist und Leadsänger Mario Wagner wohnen und arbeiten in unmittelbarer Nähe der Friedenskirche. Mit "Hôpital" kamen dann gute Bekannte auf die Bühne. Sängerin Mareen Jopek und Multiinstrumentalist Frank Schulze brachten zusammen mit ihrer Band eine stimmungsvolle Mischung aus handgemachten, eigenen Songs und einigen, ausgewählten Singersongwriter-Coverversionen zu Gehör. Wieder einmal entstand dabei eine so dichte und intensive Atmosphäre, dass das Aufhören trotz mehrerer Zugaben schwerfiel.

Der dann folgende Auftritt von "DJogger" war ein Novum in der Friedenskirche. Hinter dem Pseudonym "DJogger" verbirgt sich das DJ-affine Brüderpaar Benjamin und Leonard Popien, das nach einer Bandabsage kurzfristigen eingesprungen war. Was die beiden dann aber auf die Bühne brachten, war weit mehr als nur Auflegen, Mixen, Scratchen... Unter Einsatz spektakulärer UV-Lichteffekte hatten sie eigene Choreografie einstudiert, mit der sie die anwesenden Gäste sofort begeisterten und zu einem Tanz-Workout animierten, dass bis Mitternacht im Gange war. Pfarrer Popien schloss wie jedes Jahr mit einem Segen für die Nacht. Besonders erwähnenswert sind die vielen Jugendlichen der Friedenskirche, die beim Vorbereiten, Durchführen und Aufräumen mitgeholfen haben. Um 1.30 Uhr waren alle Spuren beseitigt und der Kirchraum wieder frisch gesaugt und bestuhlt parat für den nächsten Gottesdienst. Florian Kley, der dieses Jahr in der Friedenskirche konfirmiert wurde, hat im Rahmen seines Sozialportfolios mitgearbeitet und bereits die Soundchecks der Bands und so weiter tags zuvor mit begleitet.

"Raum des Todes" bietet Möglichkeit für SMS-Gebete

Bei so vielen außergewöhnlichen und außergewöhnlich gut besuchten kulturellen Veranstaltungen an einem Abend äußerte sich Superintendent Hans-Peter Bruckhoff gegen Ende der Nacht durchaus zufrieden über den Verlauf der dreizehnten Ausgabe der Aachener Nacht der offenen Kirchen. "Ich glaube, dass dieses Event Menschen bewegt. Das sehe ich selbst bei meinem Weg durch die Nacht." Besonders sei ihm dies beim Besuch der Kirche St. Foillan aufgefallen, in der in diesem Jahr eine Installation mit dem Titel "Raum des Todes" eingerichtet war. Neben einer Skulptur des Künstlers Ullrich Berghoff fand sich dort eine Leinwand, auf die die Anwesenden interaktiv SMS mit Gebeten oder Wünschen für Verstorbene senden konnten.

An eine positive Wirkung über die Veranstaltungsnacht hinaus glaubt Pfarrerin Bärbel Büssow, die in diesem Jahr zum ersten Mal die Nacht der offenen Kirchen in Aachen miterlebt und den Segen zur Nacht in der Annakirche gestaltet hat. "Für manche ist es sicher einfach ein Event", meint sie. "Aber es ist auch ein ganz niederschwelliges Betreten eines Kirchengebäudes für Menschen, die sonst nie in die Kirche gehen. Und wenn es einem gutgeht dabei und man eine angenehme Atmosphäre erlebt, wer weiß, vielleicht kommen die Leute dann auch zu einer anderen Gelegenheit einmal wieder."