Neue Heimat für die Notkirche

Feierliche Eröffnung der Diasporakapelle im LVR-Freilichtmuseum - Präses Manfred Rekowski begleitet die Einweihung - Superintendentin Almut van Niekerk, Pfarrer Karl-Ulrich Büscher und Pfarrer Michael Stöhr gestalteten die Andacht

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kommerner LVR-Freilichtmuseums läuteten auf dem Areal Kirchenglocken und luden zu einer ganz besonderen Andacht ein.
Die Diasporakapelle ist aus dem bergischen Overath in das LVR-Museum eingezogen - und mit ihr bedeutende Zeitgeschichte und bewegende Lebensgeschichten. Das evangelische Gotteshaus wurde nun mit einer Feierstunde eröffnet – fast auf den Tag genau 68 Jahre nachdem es in Overath am 22. Juli 1951 an den Start gegangen war.

Viele Overather unter den Gästen

Zur Einweihung kam Präses Manfred Rekowski, der oberste Repräsentant der rheinischen evangelischen Kirche. Superintendentin Almut van Niekerk, die die Kirche 2017 vor der Translozion entweiht hatte, gestaltete zusammen mit dem Overather Gemeindepfarrer Karl-Ulrich Büscher und Dr. Michael Stöhr, Evangelische Kirchengemeinde Roggendorf, die Andacht. Unter den 300 Gästen waren auch viele Overather. Sie waren gespannt und wollten sehen, was aus „ihrer“ Kirche geworden ist.

„Für uns ist die Diasporakapelle ein wichtiges Mosaiksteinchen im Aufbau des Marktplatz Rheinland im Museum“, sagte Museumsleiter Dr. Josef Mangold in seiner Ansprache. Auf dem Areal soll ein typischer Dorfkern nachgebaut werden.

Ideengeber Otto Bartning

Der häufig als Notkirche bezeichnete Bau wurde von Otto Bartning entwickelt, der als einer der wichtigen Ideengeber des „Bauhaus“ gilt.  Als quadratisch-praktischer Fertigbau konnte dieser Kirchentyp vergleichsweise preiswert und schnell aufgebaut werden. Insgesamt 33 Mal wurde der „Kubus“ gebaut.

Die Diasporakapelle war aus der Not heraus gebaut worden. „Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen mit den Vertriebenenströmen immer mehr evangelische Christen in das bis dahin überwiegend katholische Rheinland“, berichtete Henk-Hollstein. Die Zahl der Protestanten erhöhte sich schlagartig – doch evangelische Gotteshäuser fehlten. Kein guter Start. „Anders als in der heute gelebten Ökumene war es undenkbar, dass ein evangelischer Gottesdienst in der katholischen Kirche hätte stattfinden können“, so Henk-Hollstein.

Kein leichter Start in Overath

Kein leichter Start also. Die evangelische Gemeinde zählte seinerzeit rund 1800 Mitglieder, darunter rund 90 Prozent Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen, so Präses Manfred Rekowski: „Damals gab es leider keinen, der gesagt hat, wir schaffen das“

Mit Liebe zum Detail ist die Overather Kirche im Museum wieder aufgebaut worden. Viele Originalgegenstände sind wiederzufinden: so etwa die restaurierte Peter-Orgel, der ölgeheizte Kachelofen im Vorraum und ein Motorrad, ein „NSU-Quick“-Modell.

Ein Motorrad in einer Kirche? „Ja, das passt“, sagte Dr. Carsten Vorwig. der Hausforscher des LVR-Freilichtmuseums in seinem historischen Rückblick. Ein baugleiches habe der erste Diaspora-Pfarrer Kurt Schalaster immer im Eingang geparkt, weil er keine andere Unterbringungsmöglichkeit hatte. „Mit dem Moped ist er unzählige Kilometer durchs Overather Umland gefahren, um seine Gemeindemitglieder zu besuchen und Trost zu spenden.“ So sind es unendlich viele Geschichten und Erinnerungen, die festgehalten wurden. In den vergangenen zwei Jahren Interviews mit vielen Zeitzeugen geführt, um Zeitgeschichte festzuhalten, sagte Vorwig.

Beim Abbau geweint

Die Gespräche zeigen auch, wie wichtig, die Kirche für die Menschen ist. Auch die 81-jährige Overatherin Rosemarie Mundil, 81 Jahre, hängt an „ihrer Kirche“. Beim Abbau habe sie geweint: „Ich habe gedacht, um Gotteswillen, was machen die mit unserem Gotteshaus. Aber als ich gehört habe, die Kirche wird nicht abgerissen, sondern kommt nach Kommern, da war ich mit dem Schicksal wieder versöhnt.“ Der Gottesdienst sei sehr schön gewesen, „so wie früher“. Sie werde auf jeden Fall immer wieder mal nach ihrer Kirche gucken.

Genauso wie der Kommerner André Wagner, der in der Andacht eine Fürbitte vortrug. Er ist in Overath aufgewachsen, wurde dort getauft, heiratete seine Frau vor fast genau 17 Jahren in Bartning-Kirche, ließ beide Kinder dort taufen, obwohl er schon seit 2006 in Kommern wohne. Er sei froh, dass das Gebäude weiter existiere.

Umbenannt in Versöhnungskirche

2001 wurde die Diasporakapelle von der Gemeinde umbenannt in „Versöhnungskirche“. 70 Jahre nach Flucht und Vertreibung sei sie ein Beispiel dafür, dass die Integration der damals neuen Mitbürger gelungen sei.

Heute stehen die Overather Protestanten zwar erneut wieder ohne Kirche da. Im Gegensatz zu früher finden die Gläubigen bis zur Fertigstellung des Kirchenneubaus Unterschlupf aber bei der katholischen Gemeinde. Die Arbeiten für den Neubau haben bereits begonnen.