Mahn- und Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vor 75 Jahren im Aachener Rathaus

Oberbürgermeister Philipp fordert Stärkung der jüdischen Gemeinde Aachens - Alsdorfer Schüler erinnern an Schicksale jüdischer Mitbürger - Superintendent Bruckhoff für den Evangelischen Kirchenkreis unter den Anwesenden

"Wir wollen nicht vergessen, wir wollen uns erinnern" - Unter diesem Motto stand die Mahn- und Gedenkveranstaltung am Samstagabend im Krönungssaal des Aachener Rathauses zur Erinnerung an die Novemberpogrome vor 75 Jahren. Am 9. November 1938 hatten die Nationalsozialisten das schlimmste Pogrom in Deutschland seit dem Mittelalter verübt. Bei der zentralen Aachener Gedenkstunde an dieses schreckliche Ereignis begrüßte Pfarrer Ruprecht van de Weyer, katholischer Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Aachen e.V., die Gäste. Er betonte wie wichtig es sei, an die Geschehnisse vor 75 Jahren zu erinnern: "Wir müssen den Anfängen heute um so dringlicher entgegenwirken, die Antwort geben auf das, was heute offen und auch verdeckt geschieht." Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die Marienschule-Realschule der Stadt Alsdorf hatten den Abend vorbereitet. Schüler der Musikhochschule Aachen sorgten für den passenden musikalischen Rahmen mit leisen, eindringlichen Klängen. Ye Gyeong Lim brachte die "Caprice No. 5" von Niccolò Paganini an der Violine dar.

Noch heute Trauer und Scham

Oberbürgermeister Marcel Philipp hob hervor, dass uns die damaligen Taten auch heute noch mit Trauer und Scham erfüllen müssen. „Die Täter waren deutsche Bürger, viele von ihnen getaufte Christen. Jeder, der sich der christlichen Tradition verpflichtet fühlt, muss entsetzt sein über diese Verbrechen, die auf dem Boden der Vorurteile religiöser Eiferer stattfanden.“ Das Erinnern daran sei kein Selbstzweck, denn schon bald gebe es keine Zeitzeugen mehr. „Wir dürfen dieses Menschheitsverbrechen nie vergessen, es darf sich nie wiederholen. Wir müssen aus der Geschichte lernen“, betonte Philipp. „Wann hört die Nacht auf?“, zitierte er die Frage eines Rabbis zur Zeit des Nationalsozialismus, als sich die Werte der Menschlichkeit in Europa verfinstert hatten. In der Reichspogromnacht vor 75 Jahren versank die Menschlichkeit in Finsternis und auch die Werte verdunkelten sich. „Heute wollen wir zusammenstehen, damit es ein heller Tag wird“, sagte Philipp, der zur deutlichen Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde in Aachen aufrief: „Wir wollen sie nach Kräften fördern und stärken!“

Inhaltliche Akzente der Marienschule Alsdorf

Lew Berkowskiy, Student aus der Violinklasse von Professor Michael Vaiman, brachte eine Solosonate von Eugène Ysaye dar. Schüler der Marienschule, Realschule der Stadt Alsdorf, setzten anschließend inhaltliche Akzente: Anhand von Fotos dokumentierten sie das einst reiche jüdische Leben in ihrer Heimatstadt Alsdorf, wo bis zu den Geschehnissen vor 75 Jahre viele jüdische Geschäftsleute zum Beispiel an der Bahnhofstraße ansässig waren. „Sie waren geachtet und integriert und trotzdem wurden ihre Geschäfte boykottiert, ihre Kinder aus der Schule ausgeschlossen, ihre Ruhestätten geschändet und ihre Synagoge in Hoengen zerstört“, zählen die Schüler auf. So wurde nach und nach das gesamte jüdische Leben in der Stadt vernichtet. „Wir sind zutiefst beschämt. Wie konnte das geschehen?“, fragen die Schüler, die anschließend eine Kerze, Blumen, einen Trauerflor und einen symbolischen Stein auf der Bühne niederlegten. „Erinnern hat mit Gegenwart und Zukunft zu tun!“, betonten die Schüler.

"Gebrochenheit des heutigen Tages"

Jessica Schlömer spielte anschließend „Der kleine Harlekin" von Karlheinz Stockhausen auf der Klarinette. „Das ist ein Ausdruck der Gebrochenheit des heutigen Tages“, sagte Pfarrer Ruprecht van de Weyer. Pfarrer Jens-Peter Bentzin, evangelischer Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, konnte an der Aachener Gedenkstunde nicht teilnehmen, da er bei einem gleichzeitigen Pogromgedenken in der Eifel weilte. Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Aachen, war jedoch unter den Ehrengästen des Abends im Krönungssaal. Abschließend sprach Rabbiner Mordechai Bohrer ein Gebet - auf Hebräisch und Deutsch. Es folgte ein Augenblick der Stille. Mit Rücksicht auf den stillen Charakter der Gedenkstunde unterblieb auch jeglicher Applaus während der Veranstaltung.

(Text und Bilder: Nina Krüsmann)