„Ich bin angekommen, aber ich brauche eine Heimat“

Advents-Spendenaktion der Stiftung für Kirche und Diakonie mit Gottesdienst eröffnet - Hilfe-Einrichtungen für junge Flüchtlinge im Zentrum der diesjährigen Spendensammlung

Advent, das bedeutet ankommen. Mit dem Beginn der Adventszeit erwarten Christen weltweit die Ankunft Gottes mitten unter den Menschen. Dass in diesen Tagen schon täglich Menschen unter uns sind, die ankommen, daran erinnerte der Gottesdienst in der Immanuelkirche zum Ersten Advent am vergangenen Sonntag. Mit dem Gottesdienst begann auch die diesjährige Advents-Spendensammlung der Evangelischen Stiftung für Kirche und Diakonie im Kirchenkreis Aachen. Denn sie widmet sich in diesem Jahr den Menschen, die im Kirchenkreis Aachen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ankommen und hier bei uns Zuflucht suchen.

51 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, 18 Millionen von ihnen in anderen Ländern als ihrem Heimatland. Etwa die Hälfte dieser Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Regelmäßig nimmt die Bundespolizei auch in Aachen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Empfang, die oft über Monate, zum Teil Jahre auf der Flucht gewesen waren. Derzeit leben 400 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Aachen. Eine der Einrichtungen, die ihnen bei den ersten Schritten hilft, in der Fremde eine neue Heimat zu finden, ist das Zentrum für soziale Arbeit (ZfsA) in Burtscheid.

Symbolisch wird eine Tür geöffnet

Unter dem Leitgedanken „Ich bin angekommen, aber ich brauche eine Heimat“ gestalteten die Einrichtungsleiter Cornelia und Udo Wilschewksi gemeinsam mit jungen Menschen, die derzeit im ZfsA leben, den Gottesdienst mit. Eine verschlossene Tür im Altarraum bildete den Eingangsimpuls. „Wir alle kennen diese Situation“, sagte Udo Wilschewski, „wenn wir unsere Schlüssel vergessen oder die Ladenöffnungszeiten verpassen.“ Junge  Flüchtlinge kennen verschlossene Türen in einem anderen Kontext: als Stacheldraht gesäumte Grenze in Melilla, als  Tod bringendes Mittelmeer, aber auch als verschlossene Tür einer Behörde, eine fremde Sprache, die wie verschlossene Türen wirken. Symbolisch sollte die Tür im Laufe des Gottesdienstes geöffnet werden, durch die bewegenden Geschichten der jungen Menschen, durch Roll-Ups im Kirchenraum für die Besucher sichtbar. Für die jungen Menschen sei dies ein besonderer Moment, der nur im geschützten Raum der Kirche möglich sei, betonte Wilschewksi.

Langer Fluchtweg nach Tod des Vaters und Trennung von der Familie

Cornelia Wilschewski trug die Geschichte des 16-jährigen Boubaca aus Guinea vor. Sein Vater wurde bei einer Demonstration getötet, sein Elternhaus angezündet. Er floh gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder, die Familie wurde auf der Flucht getrennt Monatelang war er unterwegs, über Mali und Algerien führte sein Fluchtweg, er musste immer wieder arbeiten, um das Geld zusammenzubekommen, um die Schleuser zu bezahlen. Mit einem Jetski brachte ihn ein Schleuser von Marokko über das Mittelmeer nach Spanien. Von dort aus gelang es ihm, in die Schweiz einzureisen, er wurde jedoch aufgegriffen und nach Spanien zurückgebracht. Boubaca nahm von dort aus einen zweiten Anlauf und gelangte nach Deutschland. Sein Asylverfahren läuft zurzeit noch.

Malick (15) trägt seine Geschichte selbst vor

Auch Malick (15) ist seit drei Monaten in Aachen. Er erzählte seine Geschichte selbst. Malick stammt aus der Elfenbeinküste. Sein Vater wurde bei Dorfstreitigkeiten ermordet, er wurde verfolgt und misshandelt. „Ich habe Verletzungen erlitten, unter denen ich heute noch leide“, erzählt er. Nach einem Krankenhausaufenthalt floh er und versteckte sich auf einem Schiff, wo er nach drei Tagen entdeckt und per Hubschrauber von der Polizei nach Mallorca geflogen wurde. Von dort aus brachten ihn die Behörden nach Madrid. Per Bus kam Malick nach Deutschland und bis Aachen, wo ihn die Bundespolizei aufgriff. „Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an meiner Geschichte“, wandte sich Malick an die zahlreichen Besucher des Gottesdienstes. Eine Willkommenskultur für diese jungen Menschen schaffen, das sei eine Herausforderung an alle, gab Pfarrer Redmer Studemund zu bedenken. Auch John Mukiibi gab Impulse zum Gottesdienstthema: „Was denken Sie, wenn Sie mich sehen? Wenn ich in Ihre Nachbarschaft ziehe? Ich habe viele Freunde verloren, werde ich hier neue finden? Ich will auch ein Teil dieser Gesellschaft sein. Hier habe ich eine neue Chance bekommen und ich danke Ihnen.“

Jede Nacht kommen minderjährige Flüchtlinge in Aachen an

Cornelia Wilschewski erzählte von einem Anruf des Jugendamtes, in der das  ZfsA gebeten wurde, 13 Flüchtlinge aufzunehmen. Sie lehnte zunächst ab, weil die Einrichtung ausgelastet war. Doch einige Tage später rief das Jugendamt erneut an, für die 13 Flüchtlinge war noch immer keine Unterkunft gefunden worden. So machte das Zentrum für soziale Arbeit doch alles möglich, einen großen Raum für die vorübergehende Aufnahme der Flüchtlinge herzurichten. „Ich habe mich geschämt, dass ich die jungen Menschen nicht gleich zu Beginn so selbstverständlich aufgenommen habe. Seitdem nehmen wir jede Nacht Flüchtlinge ab 14 Jahren auf.“

25.000 Spendenbriefe an evangelische Haushalte im Kirchenkreis Aachen

Auch die diesjährige Spendenaktion der Stiftung Kirche und Diakonie nimmt in diesem Jahr die Situation der jungen Flüchtlinge in den Blick und unterstützt die Arbeit des ZfsA sowie die Kinder- und Jugendhilfe in Brand, die ebenfalls mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen arbeitet. Pfarrer Martin Obrikat, Vorsitzender des Stiftungsvorstands, stellte die Arbeit der beiden Einrichtungen vor. So sorge das ZfsA mit dem ehrenamtlich geführten Café Welcome dafür, dass die jungen Flüchtlinge gerade in den ersten Stunden in Aachen Freundlichkeit und das Gefühl erfahren, hier eine neue Heimat finden zu können. An der Karl-Marx-Allee hat das Zentrum außerdem 12 modulare Wohneinheiten geschaffen, in der bis zu 24 junge Menschen nach den monatelangen und traumatischen Fluchterlebnissen zur Ruhe kommen können. Er bat die Besucher, die Türen nicht zu verschließen, sondern zu öffnen, „weil wir als Christen daran glauben, dass es Jesus selbst ist, der uns begegnet.“ 25.000 Spendenbriefe werden in diesen Tagen im gesamten Kirchenkreis Aachen versendet. Obrikat bat um breite Unterstützung der Aktion, die er mit den Worten „Flucht ist ein Menschenrecht, Flucht ist kein Verbrechen“ eröffnete. Ein vielseitiger und musikalischer Gottesdienst war es, der mit afrikanischer Trommelmusik endete.

(Text und Fotos: Kathrin Albrecht)