"Der Rest wird weiter gute Wurzeln schlagen"

Weit über 200 Besucher füllten die Martin-Luther-Kirche samt der Empore bis auf den letzten Platz, als Pfarrer Ulrich Eichenberg nach 27 Jahren Tätigkeit in der Ex-Bergbaustadt Alsdorf von Superintendent Hans-Peter Bruckhoff von seiner bisherigen Aufgabe entpflichtet wurde. Es waren nicht nur Alsdorfer Protestanten, die sich am letzten Tag des Kirchenjahres in der verbliebenen Mittelpunktkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Alsdorf einfanden. Viele Katholiken und auch Mitglieder des Alsdorfer Geschichtsvereins würdigten Eichenbergs Verdienste etwa um die Ökumene in Alsdorf und seinen unermüdlichen Einsatz im Geschichtskreis "Wider das Vergessen".

Auch der Kirchenmusik war der zur Justizvollzugsanstalt Aachen wechselnde 60-Jährige zugetan, und das schlug sich im Gottesdienst nieder. So sang nicht nur eifrig die Gemeinde unter anderem die von Eichenberg so geliebten Kanons, sondern auch der Städtische Chor Alsdorf, der unter Eichenberg jahrelang im Martin-Luther-Saal probte und einige Oratorien und Passionen in der Kirche aufführte. Unter der Leitung von Chordirektor Günther Kerkhoffs wurden Psalm-Vertonungen von Heinrich Schütz aus dem Becker-Psalter einfühlsam vorgetragen. Organist Joachim Peters stimmte zu Beginn des Gottesdienstes Festmusik von Leon Boellmann an und nach dem Segen auf Wunsch des scheidenden Pfarrers "My way" von Frank Sinatra - ein berührender Schlusspunkt eines in Gänze bewegenden Abschiedsgottesdienstes.

Mit Leidenschaft dabei

Hierzu zählte neben der Musik vor allem das Wort. Pfarrer Ulrich Eichenberg, der sich im letzten Vierteljahrhundert in Alsdorf als Prediger einen guten Namen machte, stellte diese Fähigkeit in seiner letzten Schriftauslegung an alter Wirkungsstätte noch einmal besonders unter Beweis. Er predigte über die Tageslosung des 29. November aus dem 2. Buch der Könige (Kapitel 19, Vers 30): "Was vom Hause Juda errettet und übrig geblieben ist, wird von neuem nach unten Wurzeln schlagen und oben Frucht tragen".

Eichenberg bezog dieses Wort auf die Entwicklung der Evangelischen Kirchengemeinde Alsdorf: Sie sei nach großem Aufschwung dann vor allem nach dem Ende des Bergbaus und aufgrund demographischer Entwicklungen in den letzten beiden Jahrzehnten von rund 6.000 auf 3.700 Gemeindemitglieder geschrumpft. Dass er diesem Trend trotz nicht nachlassendem Engagement nicht habe umkehren können, sei "schmerzlich" wie auch die Tatsache, dass in den letzten Jahren die Gemeindezentren in Busch und Ofden hätten schließen müssen. "Ich bitte die um Verständnis und Verzeihung, die ich mit unvermeidlichen Entscheidungen verletzt habe. Es ist mir aber immer um die gemeinsame Sache gegangen und eines kann man mir dabei nicht vorwerfen: mangelnde Leidenschaft", so Eichenberg. Zwar sei die Gemeinde nach den goldenen Zeiten des Bergbaus zahlenmäßig auf einen "Rest" geschrumpft, aber gerade "der Rest" sei in der biblischen Geschichte immer von Gott getragen worden und zu besonderen Leistungen auserkoren worden. Wenn man etwa sehe, dass demnächst auf dem Boden der bald abzubaggernden Kirche in Ofden ein neuer evangelischer Kindergarten entstehe, erhalte das Wort aus dem 2. Buch der Könige neue Aussagekraft: "Hier wird von neuem nach unten Wurzeln geschlagen".

Bewegender Ernst und ungezwungener Frohsinn

Superintendent Hans-Peter Bruckhoff, der Eichenberg entpflichtete, griff die Worte des scheidenden Pfarres auf und zollte ihm hohen Respekt für seine freie Entscheidung, ein neues - ihm von früher nicht ganz unbekanntes - Betätigungsfeld zu finden: "Du hast mich mit Deinem ehrlichen Tun nicht überrascht. Darüber hinaus hast Du mich aber im Innern bewegt". Seiner bisherigen Gemeinde, so Bruckhoff, sei Eichenberg ein aufopfernder Kämpfer gewesen, der ihr ein seelsorgliches und theologisches Zuhause gegeben habe.
Pfarrer Paul Schnapp, der Ulrich Eichenberg beim Gottesdienst assistierte, leitete eine Vielzahl von Fürbitten-Rednern ein, die ihrem früheren Amtsbruder, Chef, Mitstreiter und Freund alles Gute für die Zukunft wünschten: etwa die Leiterinnen der evangelischen Kindergärten, Vertreter des Ökumenekreises, der Selbsthilfegruppe Krebs und der Frauenhilfen.

Nach dem bewegenden Ernst des Gottesdienstes war dann ungezwungener Frohsinn beim Abschiedsempfang im Martin-Luther-Saal unterhalb der Kirche angesagt. Unter den Rednern war auch Alsdorfs Bürgermeister Alfred Sonders, der die gute Zusammenarbeit und das gewachsene Vertrauen zwischen Kommune und evangelischer Kirchengemeinde Alsdorf während der langen Amtszeit von Ulrich Eichenberg lobte.

(Text: Joachim Peters, Fotos: Siegfried Malinowski)