Im Repair Café gemeinsam gegen die Wegwerfmentalität

Team repariert ehrenamtlich gemeinsam mit den Besitzern Alltagsgegenstände in der Emmaus-Kirche - Kaffee, Kuchen, Gespräche und Bastelei - Idee aus den Niederlanden

Eine Schraube nach der anderen hat Walter Dressen aus dem dunklen Plastik gedreht. Jetzt hebt er vorsichtig die Rückseite des alten Radios an. Im Inneren befinden sich hunderte Kleinteile: Schaltkreise, Kabel, mechanische Einzelteile. "Auf den ersten Blick kann ich nichts Verdächtiges erkennen", stellt Dressen fest: "Dann müssen wir wohl noch ein paar Schrauben mehr lösen." Noch bevor er den Satz beendet hat, wandert sein Blick wieder in das Innenleben des Radios. Mit einer kleinen Taschenlampe sucht er dort nach losen Kontaktstellen oder abgebrochenen Kleinteilen.

Gemeinsam Alltagsgegenstände reparieren

Walter Dressen gehört zum Team des Repair Cafés in der Emmaus-Kirche. Einmal im Monat, an einem Samstagnachmittag, kommen die ehrenamtlichen Helfer in der Kirche im Aachener Süden zusammen. Dort helfen sie den Gästen, deren kaputte Haushalts- und Alltagsgegenstände zu reparieren. Dabei sollen die Gäste aber in erster Linie selber an einer Lösung tüfteln. Das Team des Repair Cafés unterstützt die Besucher und versucht, ihnen zu helfen, wenn sie alleine nicht weiterkommen. Das Miteinander steht hier im Vordergrund. Insgesamt besteht das Team des Repair Cafés derzeit aus zehn Ehrenamtlern. Sieben von ihnen helfen bei der Reparatur, drei Damen kümmern sich darum, dass jeder Besucher an die Reihe kommt, und bieten den Wartenden kostenlos Kaffee und Kuchen an.

Das alte Radio ist inzwischen in mehrere Einzelteile zerlegt. Walter Dressen hält einen der kleinen Schaltkreise in der Hand und untersucht ihn auf Schäden. Nach seinem Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen sei er 40 Jahre lang Lehrer für Physik und Mathematik an einer Schule in Aachen gewesen, erzählt er: "Da kamen die Kollegen auch schon mal an und meinten: `Du, Walter, die Kaffee-Maschine im Lehrerzimmer ist kaputt. Kannst du nicht mal einen Blick darauf werfen?´" Sein Hobby, Dinge zu reparieren, führt er auch im Ruhestand fort. Neben einem gewissen technischen Verständnis brauche man dafür vor allem Fingerspitzengefühl. "Reichen Sie mir doch mal den kleinen Schraubenzieher", bittet er den jungen Mann, der das Radio mitgebracht hatte, ohne seinen Blick von dem Schaltkreis zu lösen.

"Ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft"

Seit Januar 2014 findet das Repair Café in der Emmaus-Kirche statt. Die Idee dazu kam von Cord Elias. Als die Emmaus-Kirche 2013 ihr 30-jähriges Bestehen feierte, fand eine Umfrage unter den Gemeindegliedern statt, welche Ideen und Projekte man an der Emmaus-Kirche aufgreifen könnte. Cord Elias schlug das Repair Café vor, ein Projekt, das bereits in anderen Städten sehr erfolgreich läuft. Auch in Aachen war das Interesse von Anfang an groß, berichtet Dr. Monica Schreiber, Pfarrerin an der Emmaus-Kirche: "Bei der ersten Veranstaltung hat unser Team bis in den späten Abend hinein gearbeitet, weil so viele Menschen gekommen sind, die etwas zu reparieren hatten." Vielleicht sei das große Interesse durch eine Abneigung gegen die weit verbreitete Konsum- und Wegwerfmentalität erklärbar. Eine ältere Dame, die einen kaputten Wecker in der Hand hält, formuliert es so: "Der hat doch 20 Jahre funktioniert. Nur weil jetzt der Schalter ein bisschen klemmt, schmeiß ich den Wecker doch nicht einfach weg!" Genau darin sieht Pfarrerin Schreiber auch den kirchlichen Aspekt des Repair Cafés: Als ein "Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft und für mehr Nachhaltigkeit, auch im Alltag."
Unterdessen sucht Walter Dressen gemeinsam mit dem Eigentümer des Radios noch immer nach der Ursache, weshalb die Lautstärke- und Sender-Schalter plötzlich angefangen haben zu klemmen und der Klang verzerrt ist: "Natürlich packt einen da auch der persönliche Ehrgeiz, die Gegenstände wieder funktionstüchtig zu machen", erklärt Dressen. Alles könnten die Helfer des Repair Cafés aber auch nicht reparieren: "Gerade, wenn man einzelne Teile austauschen muss und keine passenden Ersatzteile zur Hand hat, kommt man schnell ans Ende." Im Fall des Radios scheint die Lösung aber einfacher. Über die Jahre sei Staub ins Innere geraten, der sich auf die Kleinteile gelegt habe und nun die Kontakte blockiere.

Kaffee, Kuchen und viele Überraschungen

Während in der kleinen Werkstatt eifrig gearbeitet wird, kommen schon die nächsten Besucher in die Emmaus-Kirche, um ihre kaputten Alltagsgegenstände reparieren zu lassen. Die Zeit, bis sie an der Reihe sind, können sie mit kostenlosem Kaffee und Kuchen und vielen netten Gesprächen überbrücken. Auch das sei ein wichtiger Aspekt des Repair Cafés, sagt Pfarrerin Schreiber: "Die Menschen können hier ins Gespräch kommen und gemeinsam an ihren mitgebrachten Gegenständen basteln." Was die Besucher alles zum Reparieren mitbringen, sei jedes Mal aufs Neue eine Überraschung: "Radios, Kassettenrekorder, Nähmaschinen, Kinderspielzeug. Oder heute zum Beispiel ein Laubbläser und ein Tretroller. Eben alles, was im Haushalt kaputt gehen kann, aber zu schade ist, um es einfach weg zu werfen." Kurz überlegt sie, was das Ausgefallenste gewesen sei, was bisher den Weg ins Repair Café gefunden habe, dann sagt Pfarrerin Schreiber schmunzelnd: "Ein Kaffeevollautomat!"Das Konzept, ehrenamtlich Alltagsgegenstände zu reparieren, stammt übrigens aus den Niederlanden. 2009 entstand in Amsterdam das erste Repair Café, seitdem hat sich die Idee wie ein Lauffeuer verbreitet. Inzwischen ist daraus eine Stiftung entstanden, Repair Cafés gibt es in mehreren Ländern in Europa, Süd- und Nordamerika.

Eine Schraube nach der anderen dreht Walter Dressen derweil wieder in das Radiogehäuse und schaut zufrieden. Als alle Einzelteile wieder zusammengefügt sind, gibt er eine kurze Hörprobe: Das Radio funktioniert einwandfrei, auch die Schalter lassen sich wieder problemlos bedienen. "In dem Fall war die Lösung einfach. Wir haben einfach etwas Kontakt-Spray auf die Teile gesprüht, das hat schon gereicht. So leicht ist es natürlich nicht immer." Während er das sagt, stehen schon die nächsten Gäste vor ihm, ein junges Pärchen mit einem Wasserkocher, der nicht mehr kocht. "Kriegen wir hin", sagt Dressen mit einem Lächeln im Gesicht.

Link zum Repair-Café in der Emmaus-Kirche

Link zur Webseite der Stiftung Repair Café

(Text & Fotos: Stephan Klumpp)