"Menschenleben hat Vorrang vor Grenzsicherung"

Namhafte Referenten bei ESA-Veranstaltung zum Thema "Flucht" fordern mehr Empathie für Flüchtlinge

Ungefähr eine Million Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr in Deutschland Schutz gesucht, viele von ihnen aus Syrien. Neben einer Willkommenskultur macht sich zunehmend Sorge um Arbeitsplätze und Wohnraum breit, rechtpopulistische Parteien gewinnen an Zulauf. Wie die Politik auf diese Herausforderungen reagieren sollte, wie Fluchtursachen bekämpft und rechtradikale Entwicklungen gestoppt werden können, das war Thema einer Tagung der Evangelischen Stadtakademie Aachen mit dem Titel "Flucht! - Die Herausforderung bewältigen. Jetzt." am vergangenen Samstag.

Der Leiter der Stadtakademie, Jürgen Groneberg, begrüßte dazu die Referenten Ulrich Frey und Prof. Christoph Butterwegge im mit rund 80 Zuhörern gut besuchen Saal des Hauses der Evangelischen Kirche.
Die Einleitung der Veranstaltung übernahm Dr. Rudolf Diersch von der Evangelischen Akademikerschaft. Er forderte von Politik, Gesellschaft und Privatpersonen, „wieder christliche Werte im öffentlichen Dialog zu vertreten“.  Moderator Joachim Zinsen vom Zeitungsverlag Aachen charakterisierte Flucht als ein großes mediales Thema der letzten Zeit.

„Wer fromm ist, muss auch politisch sein“

Konfliktberater Ulrich Frey zitierte in seinem Vortrag Dietrich Bonhoeffers Worte: „Wer fromm ist, muss auch politisch sein“. Er forderte: „Die Rettung von Menschenleben hat Vorrang vor der Grenzsicherung.“ Die Verzweiflung von Menschen stehe, so Frey, im Mittelpunkt der momentanen Situation. „Zur Beurteilung dieser Situation“, sagte er, „dient für Christenmenschen die Bibel voller Erzählungen von Flucht und Gottes Schutz.“ Eine Friedensmacht aus Muslimen, Christen und ihren Repräsentanten, die sich bekennend gegen den Terror dieser Zeit wende, sei ein Weg die Herausforderungen zu bewältigen.

„Es fehlt Empathie!“

Der Politikwissenschaftler Prof. Christoph Butterwegge sagte, es fehle unserer Gesellschaft an Empathie und stellte sich selbst und den Zuhörenden die Frage: „Wie würde ich mich verhalten, wenn ich jetzt in Syrien wäre?“ Die Zunahme von Migration bezeichnete er zum einen als Folge der Globalisierung und zum anderen als durch den zunehmenden sozialen Zerfall der Welt begründet. Dabei identifizierte der Politikwissenschaftler der Uni Köln die deutsche Migrationspolitik als stark dualistisch in der Unterscheidung zwischen Elitenmigration und Migration aus Not. „Der Kern des Rassismus“, erklärte Butterwegge, „ist nicht etwas gegen Ausländer zu haben, sondern Menschen nach ökonomischem Kosten-Nutzen-Prinzip zu bewerten.“
Zur Bewältigung der Herausforderung durch Flucht nennt Christoph Butterwegge unter anderem zwei Möglichkeiten. Die erste sei es, die Migration nicht als Bedrohung oder Bereicherung darzustellen, sondern als Normalität und die zweite, die öffentliche Daseinsvorsorge zu verbessern, um so das Schüren von Sozialneid zu verhindern.

(Text und Bilder: N. Lieffertz)