Mit einer Küchenmaschine fing alles an

Der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) feiert 30-jähriges Bestehen - Aachener Gemeindepfarrer 1986 maßgeblich an Vereinsgründung beteiligt - Wolf von Fabeck fordert massiven Ausbau von Stromspeichern - Langes Radio-Interview auf WDR 5

Solarmodule auf Hausdächern, die umweltfreundlich Strom erzeugen – heutzutage ein vertrauter Anblick, vor 30 Jahren noch Utopie. Elektrizität gewann man durch das Verbrennen der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl oder Gas und in Kernkraftwerken. Daran, dass heutzutage ein Drittel des Stroms in Deutschland aus Sonnen- und Windenergie, Wasserkraft oder Biogas gewonnen wird, haben ein paar Aachener Christen entscheidend mitgewirkt.

Die Energiewende begann in Aachen 1986 - das Jahr, in dem das Atomkraftwerk im ukrainischen Tschernobl explodierte und radioaktive Wolken über Europa niedergingen. „Ich war im Garten und hackte Holz“, erinnert sich der Aachener Ingenieur Wolf von Fabeck an den Fallout, den er anschließend mit einem Geigerzähler maß: „Sobald ich mit dem Messinstrument in die Nähe meiner Hosentasche kam, ging es rasend schnell tick, tick, tick, tick, tick – dort war nämlich ein Taschentuch, in das ich während der Gartenarbeit geschnupft hatte“, beschreibt er seine beunruhigende Entdeckung. „Damals war ich noch jung“, erinnert sich der 81-jährige, „und in dieser Körperregion hat man nicht gerne radioaktive Strahlung."

Pfarrer Toenges regte Vereinsgründung an

Nach dem Reaktorunglück überlegte der Fachhochschullehrer, wie man Atomstrom überflüssig machen könnte. Zufällig las er in einem Buch des Atomphysikers Carl Friedrich von Weizäcker, die Menschheit sei nicht reif genug für die Kernkraft, und wenn er nicht schon zu alt wäre, würde er die Solarenergie voran bringen. „Als ich das las, ging mir ein Licht auf“, erinnert sich von Fabeck. Er kaufte sich umgehend ein Solarmodul für 400 DM, suchte sich eine sonnenbeschienene Stelle im Garten, schloss die Küchenmaschine seiner Frau an, „und tatsächlich – die Maschine began, sich zu drehen: rrrrrr rrrrrrr ... zwar langsam, aber sie drehte sich!“ In dem Moment wurde dem Ingenieur klar, dass die Photovoltaik eine alternative Energiequelle zur Atomkraft werden könnte. Schnell kalkulierte er, dass er ja einfach nur ein Dutzend Module anschließen bräuchte, um die Küchenmaschine mit voller Kraft laufen zu lassen.

„Frohgemut ging ich daraufhin zu meiner Frau und sagte ihr: Du, ich brauch’ noch Geld für elf weitere Solarmodule. Wir hatten damals noch eine gemeinsame Kasse.“ Verständlicherweise lehnte seine Frau dieses in ihren Augen völlig überzogenene Ansinnen entschieden ab. „Und wo sucht man Trost, wenn man nicht mehr weiter weiß?“, sinniert von Fabeck, „bei seinem Pfarrer!“ Der damalige Gemeindepfarrer Ernst Toenges meinte: „Ihre Frau hat völlig Recht. Das ist viel zu viel Geld, das können Sie nicht alleine stemmen. Aber ich habe eine Idee: Wir gründen einen Verein.“ Gesagt, getan, Pfarrer Toenges, Wolf von Fabeck und fünf weitere Idealisten gründeten im November 1986 den Aachener Solarenergie-Förderverein (SFV).

"Guckt doch mal aus dem Fenster!"

„Von den ersten Mitgliedsbeiträgen kauften wir die elf zusätzlichen Solarmodule, um zu demonstrieren, wie man aus Licht Strom machen kann,“ blickt von Fabeck zurück. Besonders erfolgreich sei solar betriebenes Bananenmilchmixen mit der Küchenmaschine seiner Frau beim Evangelischen Kirchentag 1987 in Frankfurt gewesen: „Die Leute standen Schlange, um unseren umweltfreundlichen Energietrunk zu kosten“, erinnert er sich schmunzelnd. Besonders amüsant sei gewesen, dass die Solarmodule zufällig direkt neben einem Gebäude standen, in dem die Atomlobby zur selben Zeit die Kernkraft anpries. „Während die Kernkraft-Befürworter ihre Art der Stromerzeugung als einzig möglichen Ausweg aus der Energiekrise anpriesen, wurden immer mehr Stimmen laut im Saal, die riefen: Guckt doch mal aus dem Fenster!“

Nach der Wende reiste von Fabeck im Sommer 1990 in die Noch-DDR - im Gepäck die Solarmodule, die Küchenmaschine und jede Menge Bananen. „Als ich auf einem Platz in Halle meine solar gemixte Bananenmilch kredenzte, war ich umringt von Menschenmassen,“ grinst von Fabeck schelmisch, „natürlich wegen der Bananen, denn die waren dort so teuer, dass sie sich kaum jemand leisten konnte.“ Die Leute hätten sich jedoch auch sehr für die Technik der solaren Stromgewinnung interessiert, denn die Notwendigkeit für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung sei viel offensichtlicher gewesen als in der damaligen BRD. „Bereits nach einem Tag im Freien waren die Module mit einer dicken schwarzen Kohlestaubschicht bedeckt“, erklärt von Fabeck. „Die Luftverschmutzung war dort unglaublich.“

Mitgliederzahl wächst auf 3000

Durch seine DDR-Reise wuchs die Mitgliederzahl des Solarenergie-Fördervereins zwar auf 3000 Techniktüftler und Ökofreaks, doch die Lobbyarbeit für erneuerbare Energiegewinnung blieb in der Ökonische stecken. Die wirtschaftspolitische Wende brachte erst eine Idee von Wolf von Fabeck: Man könnte doch versuchen, Solarenergie kostendeckend ins öffentliche Stromnetz einzuspeisen.  „Als ich mit dieser Idee rauskam, wurde ich auch im Kreis der lieben Mitvereinsmitglieder etwas nachsichtig belächelt – ja, das wäre ja 'ne tolle Sache, aber das schaffen wir nie. Wir haben’s trotzdem dann versucht“, blickt von Fabeck stolz zurück. „Wenn Menschen dafür, dass sie Solarenergieanlagen bauen und den Strom ins Netz einspeisen, eine anständige Vergütung bekommen, dann können sie mit dieser Vergütung nachträglich die Kosten für den Bau dieser Anlage zurück zahlen“, konkretisiert er seine Idee von der kostendeckenden Einspeisevergütung. „Und diese Idee haben wir dann zunächst in Aachen verbreitet so nach dem Motto „Du trägst einen Schlips, du kannst bei der FDP mal vortragen, oder du hast einen Bart, du gehst zu den Grünen“, lacht von Fabeck.

Die Vereinsmitglieder stießen bei allen Aachener Ratsfraktionen zwar auf einhellige Zustimmung, aber es brauchte dennoch etliche Ratsbeschlüsse, bis die Aachener Stadtwerke dieses neue Finanzierungsmodell für die umweltfreundliche Stromerzeugung 1995 auch tatsächlich umsetzten. „Ich bin damals rumgereist von Stadt zu Stadt, habe Vorträge über unser Aachener Modell gehalten, und wir haben es dann schließlich geschafft, dass in über vierzig Städten Deutschlands kostendeckende Vergütung für Solar- und Windenergie eingeführt wurde, ohne dass dort die Wirtschaft zusammengebrochen wäre“, erinnert sich von Fabeck.

"Aachener Modell" wird unglaubliche Erfolgsgeschichte

Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte begann: Das Aachener Modell wurde Vorbild für das bundesweite Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000. „Und dieses EEG hat dazu geführt, dass es in Deutschland geradezu einen Boom für Solar- und Windenergie gegeben hat“, blickt von Fabeck zurück, "leider wurde der Boom ab 2009 ausgebremst." Die Stromwirtschaft habe allmählich kapiert, dass die Erneuerbaren eine ernsthafte Konkurrenz zur herkömmlichen Stromerzeugung in den konventionellen Kraftwerken seien und Front gegen die Einspeisevergütung gemacht. “Sie wurde so drastisch verringert, dass mindestens 80.000 Arbeitsplätze für Solar- und Windinstallateure verloren gegangen sind in Deutschland. Die meisten Solarfabriken sind pleite gegangen, nur wenige haben das überlebt.“

Momentan bleibe der Zubau an Solarenergie unter einem Megawatt im Jahr, während in der Vergangenheit über sieben Megawatt jährlich dazu gekommen seien, zeigt sich von Fabeck enttäuscht. Deutschland falle beim Ausbau der regenerativen Energieerzeugung immer mehr zurück,  das deutsche Modell der kostendeckenden Vergütung dagegen werde in vielen Ländern mehr oder weniger übernommen. „Wir haben häufig Besuche bekommen, die sich erkundigt haben, wie wir das EEG damals durchgesetzt haben.“ Einmal sei sogar eine Gruppe von Professoren aus dem nordöstlichen Teil von China gekommen, das dort sehr kohlereich und smogbelastet ist.

„Die asiatischen Staaten und die USA sind inzwischen sehr viel weiter als wir“, ärgert sich von Fabeck. „Gerade die Deutschen, die den Anfang gemacht haben bei der Energiewende und Vorreiter sein könnten, sind jetzt die öffentlichen Bremser.“ Besonders peinlich sei, dass die deutschen Delegationen bei den internationalen Klimakonferenzen darauf drängten, die globale Energieerzeugung so schnell wie möglich zu dekarbonisieren. „Und im Binnenland tun sie das Gegenteil.“

Wieder Anreize für Einspeisung bieten

Den Grund sieht der Aachener in der Lobbyarbeit der Energiewirtschaft. „Die Konzerne befürchten zu Recht, dass sie ihren Braunkohlestrom bald nicht mehr verkaufen können und ihren Atomstrom auch nicht verkaufen können, und deswegen wehren sie sich dagegen und haben es geschafft, den Minister Gabriel ganz auf ihre Seite zu ziehen.“ Man sei zwar zum großen Teil weiter der Meinung,dass dringend etwas getan werden müsse, aber gleichzeitig herrsche in der Bevölkerung eine tiefe Entmutigung, dass alle Anstrengungen nichts nützen, weil die Regierung es nicht wolle.

„Wir müssen endlich wieder eine vernünftige Einspeisevergütung haben“, fordert von Fabeck. Es genüge nicht, so wenig zu zahlen, dass man vielleicht mit Glück plus minus Null rauskomme, sondern es müssten Anreize geboten werden: „Wenn wir überhaupt noch den Klimawandel in den Griff kriegen wollen, müssen wir die Menge der nachhaltig produzierten Energie in Deutschland verzehnfachen“, mahnt von Fabeck. „Würde man volkswirtschaftlich rechnen, oder gar globalwirtschaftlich, dann würde man sehen, welche immensen Kosten auf uns zukommen. Diese Kosten stehen nicht nur in Geldkosten, sondern sie können sogar das Leben kosten.“

„Schnelligkeit ist unsere einzige Rettung“, ist von Fabeck überzeugt und fordert den massiven Ausbau von Stromspeichern: „Was wir noch haben an wirtschaftlicher Macht, müssen wir dafür einsetzen, dass endlich die Speicher voran kommen.“ Ohne Stromspeicher könne mit den erneuerbaren Energien allein keine Vollversorgung sichergestellt werden. Der 81-jährige will sich dafür einsetzen, solange er kann und "solange mein Rat gerne gehört wird. Auch wenn er nicht gerne gehört wird, gebe ich ihn trotzdem weiter“, fügt er rigoros hinzu, „denn ich glaube, dass wir nicht viele andere Möglichkeiten mehr haben als so schnell wie möglich den Klimawandel zu bekämpfen.“

Auf WDR5 hören Sie am Sonntag, 20. November, um 18.05 Uhr und 22.05 Uhr in der Reihe "Erlebte Geschichten" ein 25-minütiges Radio-Interview mit Wolf von Fabeck. (Später ist dieses auch in der WDR-Mediathek nachhörbar.)

Weitere Informationen über den Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) mit Sitz im Aachener Haus der Evangelischen Kirche:

http://www.sfv.de

 

(Text: Elke Saur; Fotos: SFV)