"Wir wollen ihnen ein ehrendes Andenken bewahren"

Zum fünften Mal öffentliche Gedenkfeier für vom Ordnungsamt bestattete Aachener – Großer Besucherandrang in der Friedhofshalle

An einem Donnerstagabend Anfang Mai ist es auf dem Aachener Friedhof Hüls ungewöhnlich voll. Mehr als hundert Menschen streben zur Friedhofshalle, die Trauergemeinde ist bunt gemischt – bei dieser Feier wird nicht eines Toten gedacht, sondern 148 Menschen, die in den vergangenen zwölf Monaten vom Ordnungsamt bestattet wurden. Wenn nach dem Tod eines Menschen binnen zehn Tagen niemand gefunden wird, der für die Beerdigung aufkommt, sorgt das Ordnungsamt für einen würdigen Abschied und trägt die Kosten. Die meisten der vom Ordnungsamt Bestatteten waren alt und allein, weil ihre Angehörigen vor ihnen starben. Etwa ein Fünftel jedoch waren jung, sie hatten keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Oft steht dann nur ein Pfarrer am Grab, um Abschied zu nehmen. Wenn die Tageszeitungen in einer großen Anzeige Ende April ihre Namen veröffentlichen und zur Gedenkfeier einladen, kommen auch viele Menschen, die sie gekannt haben - Nachbarn, Freunde, Bekannte.   

Anteilnahme rührt zu Tränen

Mit diesem Besucherandrang haben die Organisatoren bei der fünften Gedenkfeier für von Ordnungsamt bestattete Menschen nicht gerechnet. Eilig werden zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt, damit alle gemeinsam für die Toten beten können. Während kirchliche und städtische Amtsträger laut und feierlich die Namen der Reihe nach vortragen, entzünden Mitglieder des "Ökumenischen Arbeitskreises Bestattungskultur" mit ruhiger Hand 148 Grablicht-Kerzen. „Die überfüllte Halle hat mich echt überwältigt“, sagt Pfarrerin Bettina Donath-Kreß, die mit ihrer Predigt viele Zuhörer zu Tränen rührt.

Blumen und Kerzen schmücken die Gräber als Zeichen gegen das Vergessen

Nach der Gedenkfeier bringt eine lange Prozession in Begleitung des Evangelischen Posaunenchors die Leuchten zum Gräberfeld für die Ordnungsamtsbestatteten. Lange Reihen schlichter Holzkreuze mit den Namen und Lebensdaten der Verstorbenen markieren ihre letzte Ruhestätte. Während der Posaunenchor musiziert, stellen die Menschen ihre Grablichter ab. Domkapitular Pfarrer Franz-Josef Radler verharrt betend vor einem Kreuz. „Als ich vor einiger Zeit diese Ordnungsamtsbeerdigung hatte, gingen drei Menschen hinter dem Sarg her – der Sozialbetreuer, die Bewährungshelferin und ein Kriminalpolizist, der sich des Inhaftierten Betreffenden angenommen hatte“, erinnert er sich. „Ich finde, das waren drei Samariter, die diesen Menschen vor allem noch in seinem Leben begleitet haben.“

Und es vermisst sie doch jemand

Auch Pfarrerin Donath-Kreß weiß genau, auf wessen Grab sie ihre Kerze stellt: „Das war eine ganz ganz wunderbare Frau, weit über 80. Ich habe sie anlässlich eines Geburtstagsbesuchs im Altenheim kennengelernt und dann regelmäßig besucht.“ Diese Frau habe weder von ihren Eltern noch von ihrem Ehemann ausreichende Liebe erfahren, sodass sie verbittert feststellte: Wenn ich mal sterbe, mich vermisst ja doch niemand. Doch in den letzten drei Monaten des Lebens dieser alten Frau zeigte ihr die Pfarrerin, dass es Menschen gibt, die ihr nahe sind, sie lieben und schätzen. „Bei ihrer Beerdigung war ich nicht allein, da waren auch Menschen aus dem Altenheim“, erinnert sich Donath-Kreß. „Sie hatte nicht recht, denn ich vermisse sie und bin dankbar, ihr begegnet zu sein.“

Seit fünf Jahren gibt es eine zentrale Gedenkfeier

„Die Zahl der Ordnungsamtsbestattungen steigt“, stellt Stadtdirektorin Annekathrin Grehling fest, die als Repräsentantin der Stadt Aachen eine Gedenkansprache hält. Das liege an der zunehmenden Vereinsamung in Großstädten, „aber auch weil Gemeinschaften eher im Alter auseinander brechen, weil Pflegefälle sich nicht umeinander kümmern können.“ Die Stadtkämmerin freut es, „dass Menschen, die einander kennen, ohne miteinander verwandt zu sein, aber auch Menschen, die einfach über die Todesanzeige auf diese gesellschaftliche Situation hingewiesen worden sind, die Gelegenheit nutzen, hier dabei zu sein und ihr eigenes Zeichen zu setzen oder ihren eigenen Abschied zu nehmen.“ Drei junge Männer legen gemeinsam einen Blumenstrauß auf ein Grab. „Das ist eine gute Gelegenheit, unserem Nachbarn und Freund noch einmal die letzte Ehre zu erweisen“, sagen sie. „Er hatte keine Angehörigen, deswegen sind wir halt heute hier.“ Die Drei sind froh und dankbar „für so eine Veranstaltung für alle diese Leute, die sonst keinen haben.“ Der enorme Zuspruch zeige, „dass das Anliegen, was wir 2013 angestoßen haben, ganz viele Menschen in der Stadt mit uns teilen,“ bekräftigt Pfarrerin Donath-Kreß. Vor fünf Jahren hatte das Aachener Ordnungsamt auf Anregung der katholischen und der evangelischen Kirchengemeinden erstmals eine zentrale Gedenkfeier für die anonym Bestatteten ausgerichtet, damit sie nicht länger anonym bleiben.

Niemand wird mehr anonym bestattet

„Auf einem Reihengrabfeld sah man damals einzelne verwilderte Gräber, voller Unkraut und Schotter“, erinnert sich die Pastoralreferentin Gabriele Eichelmann, die zusammen mit Pfarrerin Donath-Kreß bei der Stadtverwaltung auf offene Ohren stieß. „Man konnte allenfalls ahnen, dass da wohl ein Grab sein muss, was aber nie gepflegt, geschweige denn besucht wurde. Keiner wollte das länger mit ansehen.“ Seit fünf Jahren also kümmern sich Ordnungsamt, Friedhofsverwaltung und Kirchengemeinden um ein würdevolles Andenken an die einsam gestorbenen Aachener Mitbürger. Da die Holzkreuze jedoch bereits nach zwei bis drei Jahren verwittert sind, soll das Gräberfeld in fünf Jahren noch einmal ganz anders aussehen. „So wie es das Spendenaufkommen ermöglicht, wollen wir für jeden Vestorbenen einen Pflasterstein mit Namen und Lebensdaten gravieren lassen“, beschreibt Eichelmann. „Mit diesen Steinen legen wir Schmuckwege an, die von den einzelnen Parzellen auf die Kreuzanlage hinführen.“

Spendenkonto:

Für alle, die diese „Namenspaten“-Aktion unterstützen wollen, hat die evangelische Kirchengemeinde Aachen ein Spendenkonto bei der Sparkasse Aachen eingerichtet:

IBAN: DE42 3905 0000 0000 0002 16

BIC: AACSDE33

Vermerk: M103.08000010.482000

Auf Wunsch können Spendenquittungen ausgestellt werden. Wer den Namen eines bestimmten Verstorbenen eingravieren lassen möchte, kann bei der Einzahlung seiner Spende den Namen unter „Verwendungszweck“ angeben.

(Text und Bilder: E. Saur)