Informationen zur ForuM-Studie: Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche

ForuM: Geschichte und Hintergründe

Ende Januar hat die Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt für Aufsehen gesorgt. „Das Leid der Betroffenen, die Zahl der Fälle und das institutionelle Versagen, das die Studie darlegt, sind erschütternd“, reagierte der rheinische Präses Dr. Thorsten Latzel auf die Ergebnisse.

Die Abkürzung ForuM steht für „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland“. Es handelt sich um die erste umfassende Studie zu dem Thema innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie geht auf einen Beschluss der EKD-Synode aus dem Jahr 2018 zurück und war Teil des damaligen 11-Punkte-Handlungsplans.

Im Dezember 2020 nahm der unabhängige Forschungsverbund, an dem mehrere Universitäten, Institute und Einrichtungen beteiligt waren, seine Arbeit auf. Die EKD und die 20 Landeskirchen stellten 3,6 Millionen Euro zur Finanzierung bereit. Die Studie bestand aus fünf themenbezogenen Teilprojekten und einem Metaprojekt.

Das Teilprojekt A untersuchte aus einer historischen Perspektive den kirchlichen und öffentlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Das Teilprojekt B befasste sich mit der bisherigen Praxis der Aufarbeitung. Das Teilprojekt C erforschte die Erfahrungen und Sichtweisen von Menschen, die sexualisierte Gewalt in evangelischen Kontexten erlitten haben. Das Teilprojekt D ging der Perspektive Betroffener auf Strukturen der evangelischen Kirche und deren Nutzung durch die Täter*innen nach. Das medial besonders beachtete Teilprojekt E ermittelte Kennzahlen zur Häufigkeit und beschäftigte sich mit der Aktenführung. Das Metaprojekt führte Interviews mit Betroffenen sowie Akteur*innen der Kirchen und der Diakonie.

Der knapp 900 Seiten umfassende Abschlussbericht der Forschenden sowie eine 37-seitige Zusammenfassung können auf der Homepage forum-studie.de heruntergeladen werden.

ForuM: Ergebnisse der Studie

„Wir werden die Ergebnisse der umfassenden ForuM-Studie gründlich analysieren und ihnen weiter nachgehen – ohne jedes Ansehen von Personen oder In­stitution“, kündigte der rheini­sche Präses Dr. Thorsten Latzel Ende Januar nach der Veröffent­lichung der Studie zu sexuali­sierter Gewalt in der evangeli­schen Kirche und Diakonie an.

Mehr als hundert von sexuali­sierter Gewalt betroffene Perso­nen haben eingebracht, wie sie evangelische Kirche oder Diako­nie und deren Personen wahrge­nommen haben: von der Anbah­nung bis zum Erleben sexuali­sierter Gewalt, vom Umgang mit ihrem Versuch, sich Gehör zu verschaffen, über die Reaktio­nen von Beschuldigten oder Ver­antwortlichen bis zur Höhe von Anerkennungs­leistun­gen.

Die Studie (forum-studie.de) nennt 2225 Betroffene und 1259 Beschuldigte im Zeitraum von 1946 bis 2020. Es muss aber von deutlich höheren Zahlen ausge­gangen werden. Seitens der For­schenden wurde kritisiert, dass von den Landeskirchen nicht alle vorliegenden Perso­nalakten ge­sichtet worden seien. Die rheini­sche Kirche hat aber sämtliche dem Landeskir­chenamt zur Ver­fügung stehen­den Personalak­ten von 4733 Pfarr­personen so­wie weitere 161 Dis­ziplinarakten verschiede­ner Be­rufsgruppen unter juristi­scher Mitwirkung durchgesehen. Da­bei wurden 70 Verdachtsfälle gefunden und ge­meldet.

Die Studie räumt mit dem evan­gelischen Selbstbild auf, die „bessere Kirche“ zu sein, in der sexualisierte Gewalt nur eine ge­ringe Rolle spielt. Stattdessen belegt sie unter anderem:      
• mangelnde Unterstützung oder Ausgrenzung Be­troffener,
• eine Diskrepanz zwischen An­spruch und Wirklichkeit von Prä­vention, Intervention und Aufar­beitung,
• mangelnde Konfliktfähigkeit,
•Tabuisierung pastoraler Macht,
• einen grundlegenden Diskussi­onsbedarf beim Umgang mit Schuld,
• fehlende Trennung von Pri­vatem und Beruflichem,       
• unklare Verantwortlichkeiten,
• gravierende Mängel bei Doku­mentation und Aktenführung.

ForuM: Ausblick und Hilfe

Vizepräses Christoph Pistorius, Beauftragter der Kirchenleitung für Aufarbeitung und Prävention, hat nach Veröffentlichung der ForuM-Studie die Bedeutung der Betroffenen-Perspektive unterstrichen: „Mit der ForuM-Studie sind die Betroffenen erstmals umfassend selbst zu Wort gekommen und werden auch in der regionalen Aufarbeitung eine zentrale Rolle spielen.“

Die Kirche wird sich das ganze Jahr in ihren Gremien mit den Ergebnissen beschäftigen. Die zentrale Rolle spielt dabei das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Darin werden kirchliche Beauftragte und Betroffenenvertreter*innen die Ergebnisse mit den Forschenden diskutieren. Im November wird das Beteiligungsforum der EKD-Synode dann konkrete Maßnahmen vorschlagen.

Eine regionale Aufarbeitungskommission unter Beteiligung der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe sowie der rheinischen, westfälischen und Lippischen Landeskirche wird im Laufe dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen. Zugleich müssen die Aktenbestände der Kirchenkreise und Kirchengemeinden gesichtet und Akten über Pfarrpersonen von den Kirchenkreisen an das Landeskirchenamt übergeleitet werden. Zwingend sind auch Standards für Aufarbeitung in den Gemeinden sowie  Anerkennungsverfahren. Auf allen Ebenen gilt es, den Stand der Präventionsschulungen und Schutzkonzepte zu überprüfen.

Betroffene, die Hilfe suchen, können sich an die Vertrauenspersonen in den Kirchenkreisen, alle Beratungsstellen der Kirche und Diakonie, aber auch an die Ansprechstelle der rheinischen Kirche wenden (Telefon 0211 3610-312). Weitere kirchenunabhängige Adressen sind die Anlaufstelle.help (anlaufstelle.help, Telefon 0800 5040112) und das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch (nina-info.de, Telefon 0800 2255530).

Weitere Informationen zu sexualisierter Gewalt bieten im Netz die EKD-Seite ekd.de/SexualisierteGewalt und die EKiR-Seite url.ekir.de/duT.

(Text: EKiR)